Musikstück der Woche vom 11.07 bis 17.07.2011

"Dr. Beethoven" mit Beethoven

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AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Vor allem für seine Beethoven-Interpretationen wurde der Kölner Pianist Michael Korstick ausgezeichnet. Im Ettlinger Schlosskonzert spielte er im März 2010 live Beethovens e-moll Sonate op. 90.

Beethoven schrieb dieses Werk auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Und doch diente es ihm, nachdem er 5 Jahre lang keine Klaviersonate mehr geschrieben hatte, ganz nüchtern dazu, die Schulden seines Bruders Kaspar Karl zu begleichen.

Sonate mit neuer künstlerischer Ausrichtung

Ludwig van Beethoven notierte die Tempoangaben über den beiden Sätzen seiner 1814 komponierten Sonate op. 90 auf Deutsch. Mehr als ein Tempo geben diese fast illustrierenden Bemerkungen den Charakter und die innere Haltung vor, die sich Beethoven für sein Werk vorstellte. Wenn er über den zweiten Satz "Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen" schrieb, so ist das ein Hinweis auf den Nachklang, der von dieser Sonate bleibt: fast volksliedhaft und überaus lyrisch wirkt das Thema, das als Rondothema fungiert. Ein melodisches Klavierlied, das eine große Nähe zur Musiksprache Franz Schuberts zeigt und das vor allem innerhalb dieser Sonate einen großen Kontrast heraufbeschwört. Denn der andere Sonatensatz 'spricht' eine andere Sprache. Es ist der Tonfall, der den geschichtlichen Ereignissen um Napoleon nachschwingt, und Beethovens musikalische Auseinandersetzung damit hörbar macht: "Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck" scheint zunächst paradox als Bezeichnung für das Spiel des ersten Satzes und drückt doch die dialektische Ambivalenz aus, die Beethoven in dieser Zeit von Napoleons Verbannung nach Elba fühlte. Mit seiner Sonate op. 90 jedenfalls schlug er - gefeierter Komponist der Ouvertüre "Wellingtons Sieg" und der "Eroica"-Sinfonie - nach Abschluss seiner Oper "Fidelio" einen neuen künstlerischen Weg ein.

Der Pianist Michael Korstick

Michael Korstick, geboren 1955 in Köln, erhielt mit neun Jahren ersten Klavierunterricht. Nach seinem Studium in Köln und Hannover ging er an die New Yorker Juilliard School, und hier nannten ihn seine Kommilitonen "Dr. Beethoven", ein 'Titel', der ihm bleiben sollte. Denn längst sind sich auch Kenner der Musikwelt einig: Dieser Künstler zählt zu den bedeutendsten deutschen Pianisten, die mit ihren Interpretationen Maßstäbe setzen.

Als charakteristische Eigenschaft seines Spiels wird von der Kritik immer wieder die erstaunliche Balance zwischen brillanter Virtuosität und musikalischer Verinnerlichung im Spannungsfeld einer sehr ausgeprägten Persönlichkeit und kompromissloser Werktreue hervorgehoben. Erst im Alter von 43 Jahren, nach 20 erfolgreichen Konzert-Spielzeiten, erschienen seine ersten CDs – und machten prompt Furore. 2004 wurde seine bahnbrechende Interpretation von Beethovens "Hammerklaviersonate" op.106 veröffentlicht und rückte Korstick endgültig ins Bewusstsein eines breiten Publikums. Einstimmig wertete die Fachpresse diese Interpretation als Sensation, und ein gewaltiges Medienecho war die Folge (Süddeutsche Zeitung: "Ein Glücksfall", ZEIT: "grandios ... ein spektakulärer Beethoveninterpret"). Wenig später traf seine Aufnahme von Schuberts großer B-Dur-Sonate auf ähnliche Zustimmung und wurde mit dem "Echo Klassik 2005" als solistische Einspielung des Jahres ausgezeichnet.

2005 begann Korstick eine langfristige Zusammenarbeit mit dem Schallplattenlabel OehmsClassics, für das er zunächst einen kompletten Beethoven-Zyklus einspielte. Die erste Veröffentlichung in dieser Reihe, die Diabelli-Variationen des Bonner Meisters, wurde von der Fachwelt wiederum als maßstabsetzend begrüßt und mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichnet. Joachim Kaiser kürte sie in der Süddeutschen Zeitung zur "Entdeckung des Jahres". Auch die Aufnahmen, die Michael Korstick im Kammermusik-Studio des SWR einspielt (bislang u.a. Klavierwerke von Mendelssohn und von Charles Koechlin), werden regelmäßig mit Preisen ausgezeichnet.

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Kerstin Unseld