Musikstück der Woche vom 14.-20.3.2011

Zwischen Licht und Finsternis

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37

Die Spannung zwischen düsterer Dramatik und seliger Gesanglichkeit prägt Beethovens drittes Klavierkonzert. In unserem Live-Mitschnitt spielt Rudolf Buchbinder den Klavierpart, das RSO Stuttgart begleitet unter Roger Norrington. Die Aufnahme entstand im November 2008 bei einem Gastkonzert im Casino Basel.

Unterwelt, Trauer, Verwünschungen, und alles, was nicht ganz geheuer ist: das ist die Sphäre der Tonart c-Moll. Beethoven wählte diese Tonart für sein drittes Klavierkonzert. Es ist sein einziges Konzert in einer Moll-Tonart; er kostet den düsteren Charakter von c-Moll genüsslich aus und setzt ihn in ein wirkungsvolles Spannungsverhältnis zu lichten Passagen.

Musik über Musik

Der erste Satz ist Musik über Musik: Wie ein Mosaik fügen sich die einzelnen Elemente, die Musik ausmachen, zusammen: Rhythmus, Melodie, Harmonik, Klangfarben, Dynamik, der Kontrast zwischen dem Solisten und der Gruppe und schließlich die große Architektur der Sonatensatzform mit ihren zwei unterschiedlichen Themen. Beethoven baut die Elemente Schritt für Schritt zusammen, fast wie nach einem Rezept. Dennoch haftet der Musik keineswegs etwas Schematisches, Lehrbuchhaftes an – im Gegenteil: Jede neue ‚Zutat‘ wirkt wie eine kleine Sensation und gibt der Musik neue Würze.

Der zweite Satz verlässt den finsteren Moll-Bereich; er ist gleichsam auf der südlichen Halbkugel angesiedelt: in strahlendem E-Dur. Er gehört ganz dem Klavier. Die gedämpften Streicher begleiten dezent mit tupfenden Akkorden und treten nur dann hervor, wenn das Klavier schweigt. Ein Zeitgenosse schrieb 1805, zwei Jahre nach der Uraufführung. „B. hat hier mehr, als von frühern Komponisten für das Pianof. irgend einer, alle Mittel, die dies Instrument zum Ausdruck sanfter Gefühle besitzt, ins Spiel gesetzt; und denen, die aus altem Glauben ... immer noch einander nachsagen, es fehle dem Pianoforte denn doch an zarterm Ausdruck, ist das gehörige Vorspielen dieses Stückes wenigstens eine eben so vollständige Widerlegung, als das Gehen jenes Philosophen eine Widerlegung der Zweifel seines Kollegen war, der die Bewegung leugnete.“

Der dritte Satz, ein symmetrisch angelegtes Sonatenrondo, lebt von seinem prägnanten Thema; Beethovens Schüler Carl Czerny empfahl: „Das Thema dieses Finales ist zwar klagend, aber mit einer naiven Einfachheit vorzutragen.“ Genau in die Mitte des Satzes schreibt Beethoven ein polyphones Fugato, in dem das spielerische Element, die „naive Einfachheit“ des Themas ganz ausgeklammert ist.

Dem Prinzen von Preußen gewidmet

Beethoven widmete das Konzert dem Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, von dem er sagte, er spiele nicht "prinzlich oder königlich, sondern wie ein tüchtiger Klavierspieler." Bei der Uraufführung im April 1803 saß Beethoven selbst am Klavier. Er spielte aus Noten, die er allerdings nur in eilig hingeworfener, stenographischer Kurzschrift festgehalten hatte – was seinen Umblätterer ziemlich ins Schwitzen brachte: "Ich erblickte fast lauter leere Blätter, höchstens auf einer oder der anderen Seite ein paar mir recht unverständliche Hieroglyphen hingekritzelt." Beethoven soll sich darüber königlich amüsiert haben.

Rudolf Buchbinder

Rudolf Buchbinder begann seine Karriere als Kammermusiker. Seit vielen Jahren musiziert er weltweit mit allen großen Orchestern und Dirigenten und ist regelmäßiger Gast bei den bedeutendsten Festivals. Über 100 Aufnahmen dokumentieren die Größe und Vielfalt seines umfangreichen Repertoires, das auch zahlreiche Komponisten des 20. Jahrhunderts einschließt. Besonderes Aufsehen erregte Buchbinders Einspielung des Klavier-Gesamtwerkes von Joseph Haydn, die mit dem „Grand Prix du Disque“ ausgezeichnet wurde. Mittlerweile bevorzugt Buchbinder allerdings Live-Mitschnitte gegenüber Studioaufnahmen.

Zum wichtigen Anliegen wurde für ihn die Interpretation des „Neuen Testaments“ der Klaviermusik: mit der zyklischen Wiedergabe aller 32 Sonaten Beethovens in über 40 Städten – darunter München, Wien, Hamburg, Zürich, Buenos Aires – setzte und setzt er immer wieder Maßstäbe.

Rudolf Buchbinder legt besonderen Wert auf die intensive Auseinandersetzung mit den musikalischen Quellen. In seinem Besitz befinden sich über 18 komplette Ausgaben der Sonaten von Ludwig van Beethoven, eine umfangreiche Sammlung von Erstdrucken und Originalausgaben und Kopien der eigenhändigen Klavierstimmen und Partituren der beiden Klavierkonzerte von Brahms.

In seiner Freizeit beschäftigt sich Rudolf Buchbinder mit Literatur und Bildender Kunst und betätigt sich – wenn ihm zwischen Konzertreisen und Probenterminen noch Zeit bleibt – selber als passionierter Amateurmaler.

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt jährlich rund 90 Konzerte im Sendegebiet des Südwestrundfunks, in den nationalen und internationalen Musikzentren und bei bedeutenden Musikfestspielen. Ein herausragender Höhepunkt in der Geschichte des RSO Stuttgart war das Konzert zum 80. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. im Vatikan, das im April 2007 weltweit live übertragen wurde.

Das Orchester pflegt das klassisch-romantische Repertoire in exemplarischen Interpretationen und setzt sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten aufgeführte Komponisten und Werke ein. Bis heute hat es mehr als 500 Werke uraufgeführt.

Viele namhafte Dirigentenpersönlichkeiten haben das RSO in den letzten 60 Jahren geprägt, unter Ihnen Sergiu Celibidache, Carl Schuricht, Sir Georg Solti, Giuseppe Sinopoli, Carlos Kleiber, Sir Neville Marriner, Georges Prêtre und Herbert Blomstedt. Ebenso konzertieren regelmäßig hochkarätige Solisten aller Generationen beim RSO.

Seit 1998 ist Sir Roger Norrington Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart. Er hat dem Orchester ein unverwechselbares klangliches Profil verliehen durch die Verbindung von historisch informierter Aufführungspraxis mit den Mitteln eines modernen Sinfonieorchesters.

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Doris Blaich