Musikstück der Woche vom 26.7. bis 1.8.2010

Beethovens "vielleicht größtes Klavierkonzert"

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AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Robert Schumann lobte dieses Konzert op. 58 in den höchsten Tönen, und nachfolgende Komponisten- und Pianistengenerationen geben ihm recht.

Es spielt der junge russische Pianist Sergey Koudriakov, begleitet vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung von Andrew Manze.

Andante mit Folgen

Nicht alle von Beethovens Klavierkonzerten haben solche Nachwirkungen erzielt, wie sein viertes. Gerade die Romantiker wie Schumann, Mendelssohn und Chopin haben sich an diesem Konzert orientiert, das seinerseits schon mit einem Fuß - sprich: mit seiner atmosphärischen Dichte - in der Romantik steht und tatsächlich eine neue Ära in der Gattung Solokonzert einläutet. Immer wieder geht es um das Andante, jener langsame Satz, den Robert Schumann das "groß-geheimnisvolle Adagio" nannte. Von diesem Andante geht der Zauber des G-Dur-Konzerts aus, das keineswegs zu den populärsten Klavierkonzerten Beethovens zählt, wohl aber zu den folgenreichsten.

Die Entstehungszeit, die Jahre 1805 und 1806, ist eine Zeit äußerer und innerer Entspannung in Beethovens Schaffen. Vorbei war das Ringen um die "Eroica" und die "Appassionata", vorherrschend war ein lyrischer Ton wie er auch in der 4. Sinfonie, im Violinkonzert und in den Streichquartetten op. 59 zu finden ist, die im gleichen Zeitraum entstanden.

In dieser Zeit also schrieb Beethoven den Anfang eines Klavierkonzerts, wie ihn die Welt vorher noch nicht gehört hat: versonnen, zögernd. Das Klavier trumpft nicht auf und betont seine Solistenrolle. Nein. Es beginnt verhalten ein 'Gespräch' mit dem Orchester. Und zwar nicht mehr nach dem überlieferten 'Schwarz-Weiß-Prinzip' von Solo und Tutti, sondern wie ein homogenes Gespräch zweiter Stimmen. Wie selbstverständlich wächst der Solopart aus den Orchesterstimmen heraus, und umgekehrt. Diese Form konzertanter Verschmelzung gleicht einer Revolution - und das in seiner Natürlichkeit nahezu unmerklich.

Sergey Koudriakov, Pianist

Der 1978 in Moskau geborene Sergey Koudriakov begann bei Valentina Aristova seine Ausbildung an der Gnessin-Musikschule seiner Heimatstadt. 1995 trat er ins Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium über, wo er in der Meisterklasse von Prof. M. Voskresensky studierte. Heute ist er dessen Assistent in Moskau.
Koudriakov erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise bei internationalen Wettbewerben; erste Preise gewann er 2002 beim Concours de Genève, 2004 zusammen mit dem Bratschisten Ilya Hoffman beim Gaetano Zinetti-Kammermusikwettbewerb von Verona und 2006 beim Concours Géza Anda in Zürich, wo ihm die Jury auch den Mozart-Preis zugesprochen hatte.
Koudriakov trat und tritt in Russland, in vielen Ländern Europas, in Japan und den USA auf. Er spielte mit namhaften Orchestern, wie dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Moskauer Tschaikowsky Symphony Orchestra, dem Moskauer Symphony Orchestra, den Bremer Philharmonikern, dem Berner Symphonieorchester, dem St. Petersburg Symphony Orchestra, dem Belgrader Philharmonischen Orchester, dem National Honoured Academic Symphony Orchestra of Ukraine, dem Wiener Kammerorchester unter Dirigenten wie Vladimir Fedoseyev, Philippe Entremont, Franco Trinca, Ari Rasilainen, Eliahu Inbal, Rolf Gupta, Theodor Guschlbauer, Christian Mandeal, Andrej Boreyko, Victor Syrenko und anderen.

Andrew Manze, Dirigent

Seine Karriere hat den 1965 geborenen britische Geiger, Dirigent und Musikgelehrten Andrew Manze in den letzten Jahren rasch zu einem der gefragtesten Künstler seiner Generation gemacht. Zunächst hatte der als führender Geiger im Bereich der historischen Aufführungspraxis bekannte eine klassische Hochschulausbildung an der Cambridge University absolviert, bevor er bei Simon Standage und Marie Leonhardt Violine studierte. Von 1996 bis 2003 war Andrew Manze Associate Director der "Academy of Ancient Music", von 2003 bis 2007 Nachfolger Trevor Pinnocks als Künstlerischer Leiter des „English Concert“. Seit 2006 ist er Chefdirigent des Helsingborg Symphony Orchestra und gleichzeitig Artist-in-Residence des Swedish Chamber Orchestra. Als gefragter Gastdirigent steht Andrew Manze mittlerweile am Pult zahlreicher Orchester in Europa und Übersee, so z. B. des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, des Mahler Chamber Orchestra, der Radio-Sinfonieorchester von Hannover und Frankfurt, des City of Birmingham Symphony Orchestra, des Scottish Chamber Orchestra, des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, des Norwegian Radio Orchestra und der Northern Sinfonia. Während Andrew Manze als Dirigent ein breites Repertoire von der Barockzeit bis ins 20. Jahrhundert pflegt, setzt er als Geiger einen deutlichen Schwerpunkt bei der Violinliteratur von 1610 bis 1830. Andrew Manze lehrt an der Royal Academy of Music und ist Gastprofessor am Royal College of Music, beide in London. Außerdem ist er Mitherausgeber von Urtextausgaben von Werken Bachs und Mozarts, betätigt sich als Musikpublizist und arbeitet für Rundfunk und Fernsehen.

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Kerstin Unseld