Musikstück der Woche vom 19.12.2011 bis 2.1.2012

"Wieder neu für die Kunst leben"

Stand
AUTOR/IN
Bernhard Schrammeck
Doris Blaich

Ludwig van Beethoven: Klaviersonate Nr. 30 E-Dur op. 109

Resilienz nennen wir das heute: die Fähigkeit, auch in der schlimmsten Krise einen Ausweg zu erkennen und ihn zu nutzen. Beethoven ist dafür ein Musterbeispiel, und seine Klaviersonate E-Dur ist echte Resilienz-Musik. Unser Mitschnitt mit dem englischen Pianisten Jonathan Plowright stammt vom April 2008. Das Konzert fand bei der SWR-Reihe "Internationale Pianisten in Mainz" statt.

Persönliche Krisen und Krankheiten lösten bei Ludwig van Beethoven in regelmäßigen Abständen Zweifel am eigenen künstlerischen Wirken aus. Eine besondere Leidenszeit machte er in den Jahren 1819 und 1820 durch: Beethoven war vollständig ertaubt, und nun kamen auch noch das Rheuma und eine beginnende Zirrhose dazu. Beethoven trat kaum mehr auf in Wien - was ihm sogleich einen einigermaßen reißerischen Kommentar in der "Allgemeinen musikalischen Zeitung" einbrachte: "Für größere Arbeiten scheint er gänzlich abgestumpft zu sein."

Ein echtes Stehaufmännchen

Beethoven wäre nicht Beethoven, wenn er nicht auch aus dieser Krise einen Ausweg gefunden hätte. Sein Gesundheitszustand besserte sich erheblich, und im November 1821 versicherte er seinem Freund Franz von Brentano: "wieder neu auf für meine Kunst zu leben, welches eigentlich seit zwei Jahren nicht der Fall, sowohl aus Mangel an Gesundheit wie auch vieler andern menschlichen Leiden wegen." Das wichtigste kompositorische Resultat dieser Wende war die Vollendung der drei Klaviersonaten op. 109-111, Beethovens letzte Werke dieser Gattung.

Klaviersonate E-Dur

Die Sonate E-Dur op. 109 eröffnet die Werktrias mit einem ernsten, aber doch hellen und hoffnungsfrohen Grundgestus. Die drei Sätze gehen direkt ineinander über und erwecken in ihrer Gesamtheit den Charakter einer großen Fantasie. Im ersten Satz stellt Beethoven zwei grundverschiedene Themen gegeneinander. Beide kommen einander näher und ergänzen sich schließlich. Als zweiter Satz folgt ein elegant dahineilendes Scherzo, als Finale ein großartiger Variationssatz. Das Thema ist eine ruhige, friedliche Liedmelodie, die Beethoven insgesamt sechs (teilweise recht umfangreichen) Veränderungen unterzieht.

Nach der Veröffentlichung der E-Dur-Sonate sah sich die Wiener Presse gezwungen, ihre Meinung über den angeblich schaffensmüden Beethoven zu revidieren. Diesmal war zu lesen: "Diese geistreiche Clavier-Composition ist ein neuer Beweis der unerschöpflichen Phantasie und tiefen Harmonie-Kenntniß des herrlichen Tondichters".

Jonathan Plowright

Der Pianist Jonathan Plowright (Foto: Pressestelle, www.jonathanplowright.com - Photo: Sagar-Stewart)
Der Pianist Jonathan Plowright

Der Pianist Jonathan Plowright studierte an der Royal Academy of Music in London und schloss im Jahre 1983 mit der Goldmedaille ab. Im selben Jahr wurde er zum "Commonwealth Musician of the Year" ernannt und gewann 1989 den "European Piano Competition". Heute gehört Jonathan Plowright zur Gilde der britischen Spitzenpianisten, und er konzertiert in der ganzen Welt. In letzter Zeit hat sich Plowright zu einem Spezialisten für die polnische romantische Klaviermusik entwickelt. Neben einer hochgelobten Chopin-CD hat seine Aufnahme mit Klavierwerken von Ignaz Paderewski große Aufmerksamkeit erregt.

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Bernhard Schrammeck
Doris Blaich