Musikstück der Woche vom 1.8. bis 7.8.2011

"Sei mir gegrüßt"

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Sein eigenes Rückert-Lied zitierte Franz Schubert in der Fantasie für Violine und Klavier C-Dur D 934, die zum Schönsten zählt, was er für diese Besetzung schrieb.

Susanna Yoko Henkel und ihre ukrainische Klavierpartnerin Milana Chernyavska setzten Schuberts Fantasie am 24.01.2010 auf das Programm ihres Ettlinger Schlosskonzerts.

Sehnsucht in Variationen

Von den 24 Minuten, die Franz Schuberts Fantasie für Violine und Klavier C-Dur immerhin dauert, mag man keine Sekunde vermissen – so unbeschreiblich schön sind sie! Aber als das Werk im Januar 1828 uraufgeführt wurde, konnte sich der Kritiker eine ironisch distanzierte Bemerkung kaum verkneifen: „Die Fantasie dehnte sich etwas zu lange über die Zeit aus, die der Wiener den geistigen Genüssen widmen will. Der Saal wurde allmählich leerer, und Referent gesteht, dass auch er von dem Ausgang dieses Musikstücks nichts zu sagen weiß.“

Was irritierte die Wiener Zuhörer an diesem Werk? Dass Schubert hier traditionelle Sonatensatzprinzipien völlig frei mit liedhaften Fantasiemomenten verwoben hat? Dass verschiedene Sätze aneinander gereiht sind ohne voneinander getrennt zu sein? Dass eine Fantasie fast eine halbe Stunde füllt? Wir können es heute kaum noch nachvollziehen – und erklären dieses Phänomen dann gerne damit, dass Schubert hier eine Vision hatte, eine Antwort auf Formfragen, die ihrer Zeit weit voraus war.

Dreh- und Angelpunkt der Fantasie ist ein Lied aus Schuberts eigener Feder. Schubert zitierte sein Rückert-Lied „Sei mir gegrüßt“, D 741 im Andantino-Teil der Fantasie und variiert es anschließend. Musikalisch ganz wunderbar schlicht, und doch voller Tiefe. Denn Schuberts scheinbar schlichte Tonsprache ist tief gefüllt mit einer Versunkenheit in elementare Gefühle wie Trauer und Schmerz, die den Zuhörer unmittelbar berührt und zum Schluss in ein mild und zuversichtlich strahlendes Licht führt. Schade für den Wiener Rezensenten im Jahr 1828, dass er diese Poetik hier nicht erlebt hat. Hoch komplex sind übrigens auch die Ansprüche, die Schubert mit seinem ‚einfachen‘ Notentext an die Interpreten stellt. Denn das Innenleben seiner Musik ist voller technischer Herausforderungen, was vielleicht damit zusammenhängt, dass Schubert seine Fantasie für den böhmischen Violinvirtuosen Joseph Slawjk schrieb, den Frederic Chopin einst den „zweiten Paganini“ nannte.

Susanna Yoko Henkel, Violine

Seit die "Welt am Sonntag" sie 2007 zu einer der Erbinnen Anne Sophie Mutters erklärte und das US-Fachmagazin "Strings" sie auf der Titelseite platzierte, ist Susanna Yoko Henkel kein Geheimtipp mehr, sondern eine feste Größe im internationalen Solistengeschäft.

Aus einer deutsch-japanischen Musikerfamilie stammend, bekam sie schon als Zweijährige eine Geige in die Hand und wurde mit zwölf Jungstudentin bei Rainer Kussmaul an der Freiburger Musikhochschule. Ihr Hauptstudium absolvierte sie anschließend in München bei Ana Chumachenko.

Preise bei internationalen Wettbewerben, unter anderem dem Reine-Elisabeth-Wettbewerb, dem Salzburger Mozart-Wettbewerb, dem Tibor-Varga-Wettbewerb in Sion und schließlich dem Deutschen Musikwettbewerb in Berlin begleiteten sie durch ihr Studium und legten den Grundstein für eine intensive Konzerttätigkeit als Solistin und Kammermusikerin. Sie spielte mit mehreren deutschen Rundfunkorchestern, unter anderem auch dem des SWR, und weiteren Orchestern in Deutschland und in Übersee.

Daneben ist Susanna Yoko Henkel eine leidenschaftliche Kammermusikerin. Ihr 2006 gegründetes Kammermusikfestival in Zagreb/Kroatien ist bereits fester Bestandteil des dortigen Kulturlebens. Regelmäßig wird sie auch zu führenden Musikfestspielen eingeladen.

Susanna Yoko Henkel spielt die „Ex Leslie Tate“ Stradivarius-Geige von 1710, eine großzügige Leihgabe aus privatem Besitz. Die Nachwuchsförderung liegt Susanna Yoko Henkel sehr am Herzen und so folgte sie zum 1. Oktober 2010 gerne dem Ruf an die renommierte Hochschule für Musik und Tanz in Köln, Europas größter Musikhochschule.

Milana Chernyavska, Klavier

Um "das Glück des Ganzen" handele es sich, wenn man dem Spiel der ukrainischen Pianistin Milana Chernyavska lausche, urteilte kein Geringerer als Alfred Brendel. Mit sieben Jahren spielte sie ihr erstes Konzert im Großen Saal der Philharmonie ihrer Heimatstadt Kiew, mit zwölf gewann sie erstmals einen Preis in einem internationalen Wettbewerb, dem viele weitere folgen sollten. Nach dem Studium am Tschaikowsky Konservatorium in Kiew folgten ab 1995 Meisterkurse und ein Meisterklasse-Studium unter anderem bei Gerhard Oppitz an der Musikhochschule in München, wo sie inzwischen selbst unterrichtet.

Als Solistin mit verschiedenen Orchestern und als Kammermusikerin gastiert Milana Chernyavska in fast allen Ländern Europas, in Kanada, den USA und Japan, auf international bedeutenden Podien wie der Londoner Wigmore Hall, dem Concertgebouw Amsterdam und dem Münchner Herkulessaal, außerdem bei zahlreichen Festivals, u. a. beim Lucerne Festival, dem Rheingau- und dem Schleswig Holstein Festival und den Schwetzinger Festspielen. Gemeinsam mit ihren Kammermusikpartnern, zu denen auch Julia Fischer, Elisabeth Batiashvili, Daniel Müller-Schott und das Vogler Quartett zählen, hat sie zahlreiche CDs veröffentlicht. Rundfunkaufnahmen entstanden bei verschiedenen deutschen Rundfunkanstalten, bei Radio France, der BBC und dem Staatlichen Rundfunk der Ukraine.

Milana Chernyavska hat sich mit ihrer Dissertation über den „Wertungs- und pädagogischen Aspekt der Interpretationstheorie auch als Musikwissenschaftlerin profiliert.

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Kerstin Unseld