Musikstück der Woche 11.10.-17.10.2010-

Benjamin Britten: Hymn to St. Caecilia op. 27 mit dem SWR Vokalensemble

Stand
AUTOR/IN
Karl Böhmer

"Erscheine allen Musikern in Visionen und inspiriere sie", so heißt die Kreativitätsformel in Benjamin Brittens Hymne an die Heilige Caecilie. Das SWR Vokalensemble singt sie in unserem Musikstück der Woche. Ein Live-Mitschnitt vom Juli 2008 in der Gaisburger Kirche Stuttgart. Marcus Creed dirigiert.

"Inspiriere alle Musiker!"

Benjamin Britten wurde am Festtag der heiligen Caecilie geboren: am 22. November. Deshalb fühlte er sich der Schutzheiligen der Musik besonders eng verbunden. Schon der angehende Komponist, - gleichsam der junge Star unter den Absolventen des Royal College of Music in London - trug sich mit dem Gedanken, ein größeres Werk "for S. Cecilia’s Day" zu schreiben, und zwar ganz bewusst in der Tradition des Barock-Komponisten Henry Purcell, dessen Musik er über alles bewunderte und für deren Wiederbelebung er später wesentliche Anstöße geben sollte.

Den geeigneten Text dafür zu finden, war freilich schwieriger, als er gedacht hatte. "Ich habe große Schwierigkeiten, lateinische Worte für eine Hymne an die Hl. Caecilie zu finden", vertraute Britten 1935 seinem Tagebuch an.

Ausgangspunkt Text

1940 schließlich beauftragte er seinen Dichterfreund W. H. Auden mit englischen Versen für die geplante Hymne. Auden lieferte den dreiteiligen Text im Laufe des Jahres 1940, nicht ohne Britten seine Vorstellungen von der Vertonung aufzwingen zu wollen. Der Tenor Peter Pears, Brittens Lebensgefährte, erinnerte sich später: "Ben ging nun seiner Wege und hatte keine Lust mehr, sich von Wystan (Auden) dominieren bzw. an der Nase herumführen zu lassen. Vielleicht könnte man sagen, dass er in seiner großartigen Hymne an die Hl. Caecilie der Zusammenarbeit mit Wystan Adieu sagte."

Tatsächlich wurde es das letzte gemeinsame Werk der beiden jungen Künstler und zugleich ein schrankenloses Bekenntnis Brittens zu seiner vom Krieg heimgesuchten Heimat.

Was hat die Heilige Caecilie mit dem 2. Weltkrieg zu tun?

Auden, Britten und Pears hatten zu Beginn des Krieges als Kriegsdienstverweigerer das Weite gesucht und sich in den USA niedergelassen. Dieser Schritt, in der Heimat als Loyalitätsbruch gebrandmarkt, lastete auf Brittens Gewissen mehr denn auf dem seines Dichterfreundes.

Tatsächlich kehrte der Komponist zusammen mit Pears 1942 reumütig in die Heimat zurück. Die in Amerika begonnene Hymne an die Heilige Caecilie wurde das Symbol dieser Rückkehr in den Schoß des englischen Volkes.

Die Vollendung des Werkes wurde unmittelbar vom Kriegsgeschehen beeinträchtigt: Als Britten das halbfertige Manuskript in den USA mit aufs Schiff nehmen wollte, wurde es vom Zoll konfisziert, da man befürchtete, bei den Noten könne es sich um kodierte Texte handeln! (Dieses Schicksal traf alle Notenmanuskripte, die er mit sich führte.) Dem Komponisten fiel es aber nicht schwer, schon auf dem Schiff die Noten des bisher Geschriebenen zu rekonstruieren und weiter an der Hymne zu arbeiten.

Am 2. April 1942 vollendet, fand das Stück rasch Eingang ins Repertoire der englischen Chöre – trotz oder gerade wegen des Krieges. Zusammen mit der zur gleichen Zeit komponierten "Ceremony of Carols" wurde es Brittens populärstes Chorwerk.

Zur Musik

Ganz nach der Tradition der barocken Caecilienoden hebt die Hymne mit einer feierlichen Anrufung der Heiligen an, die hier freilich nur als "blessed", also als Selige bezeichnet wird: "Selige Caecilia, erscheine allen Musikern in Visionen, erscheine und inspiriere sie!" Refrainartig gliedern diese Verse die ganze Hymne. Nach jedem der drei Abschnitte kehren sie – musikalisch leicht variiert - wieder.

Der erste Abschnitt ist aus dem Refrain abgeleitet, der Mittelteil verbindet den Charakter eines Scherzos mit einer freien Fugenform. Der Schlussteil wird zum Höhepunkt, indem aus jeder Stimmlage Solisten heraustreten, um den Klang einzelner Instrumente zu beschreiben.

SWR Vokalensemble Stuttgart

Mitglieder des SWR Vokalensembles Stuttgart  beim Konzert auf der Empore (Foto: SWR, SWR - Jacques Lévesque)
SWR Vokalensemble Stuttgart

Die Geschichte des SWR Vokalensembles Stuttgart spiegelt in einzigartiger Weise die Kompositionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder. Auf Beschluss der Alliierten und im Zuge von Demokratisierungsmaßnahmen wurden 1946 Rundfunkanstalten und Ensembles gegründet, darunter auch der damalige Südfunkchor. Ihm kam die Aufgabe zu, das Schallarchiv mit Musik aller Arten und für jegliche Anlässe zu versorgen. Mit dem Dirigenten Hermann Joseph Dahmen, der den Chor von 1951 bis 1975 leitete, begann die Zeit der allmählichen Spezialisierung auf Neue Musik. Von 1953 an vergab der Chor regelmäßig Kompositionsaufträge.

Zu internationaler Reputation als Ensemble für Neue Musik gelangte das SWR Vokalensemble mit seinen späteren Chefdirigenten Marinus Voorberg, Klaus-Martin Ziegler und mit Rupert Huber. Schon Voorberg, insbesondere aber Huber formte den typischen Klang des SWR Vokalensembles, geprägt von schlanker, gerader Stimmgebung. Viele der mehr als 200 Uraufführungen, die in der Chronik des SWR Vokalensembles verzeichnet sind, hat er dirigiert. Auf diesem Niveau konnte Marcus Creed aufbauen, als er 2003 die Position des Chefdirigenten übernahm. Dem Ensemble ging zu diesem Zeitpunkt bei Fachpresse und Publikum längst der Ruf voraus, in konstruktiver Offenheit mit den Schwierigkeiten zeitgenössischer Partituren umzugehen.

In seinen ersten Stuttgarter Jahren legte Creed, der als einer der profiliertesten Dirigenten internationaler Profichöre gilt, seine Arbeitsschwerpunkte deshalb auf das Vokalwerk von György Ligeti, Luigi Dallapiccola und Luigi Nono. Darüber hinaus setzte er die Reihe der Uraufführungen fort. Intensiviert wurde vor allem die Zusammenarbeit mit Georges Aperghis, Heinz Holliger und György Kurtág. Die Studioproduktion des SWR Vokalensembles Stuttgart erscheinen zu einem großen Teil auf CD und werden regelmäßig mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der Grand Prix du Disque und der Midem Classical Award.

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Text zu "Hymn to St. Cecilia" von Benjamin Britten

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AUTOR/IN
Karl Böhmer