Musikstück der Woche vom 8.3. bis 14.3.2010

Schmankerl statt Sinfonie

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Für seinen geigenden Untermieter schrieb Antonin Dvořák 1887 vier winzige romantische Kleinode.

Die Geigerin Arabella Steinbacher und ihr Klavierbegleiter Robert Kulek wählten die "Vier romantischen Stücke" op. 75 für ihr Programm beim Bruchsaler Schlosskonzert vom 10.10.2008 aus.

Konzertsaal im Bruchsaler Schloss (Foto: SWR, SWR -)
Konzertsaal im Bruchsaler Schloss

Der Pelikán gab den Anstoß

Im Haus der Familie Dvořák in der Prager Korngasse 10 wohnte zur Untermiete bei Dvořáks Schwiegermutter der Chemiestudent Josef Kruis, der ein großer Musikliebhaber und dilettierender Geiger war. Obwohl das Geld knapp war leistet Kruis sich den Luxus, bei Jan Pelikán, einem Geiger vom Nationaltheater, regelmäßig Stunden zu nehmen. Zum Unterrichten kam Pelikán sogar ins Haus. Dvořák hörte mit Vergnügen, wie Schüler und Lehrer Geigenduetten spielten. Durch und durch Musikant gesellte er sich mich seiner Bratsche dazu und schrieb begeistert und kurzerhand für diese 'Hausmusik im Hause' ein Terzett. Während das Werk für Herrn Pelikán ein Vergnügen war, scheiterte der angehenden Chemiker an dem Geigenpart, den Dvořák für ihn komponiert hatte. Dvořák schrieb ein zweites Terzett, im Schwierigkeitsgrad des geigenden Chemiestudenten. Außerhalb des Hauses der Familie Dvořák wurde dieses einfachere Terzett allerdings zu Lebzeiten des Komponisten nie gespielt. Jedenfalls nicht, in der 'Chemiker-Fassung' - wohl aber unter dem Titel "Vier romantische Stücke" umgearbeitet für Violine und Klavier.

Begeisterung riefen diese "Vier romantischen Stücke" nicht nur im Konzert und in ambitionierten Hausmusikkreisen hervor, sondern vor allem bei Dvořáks Verleger Simrock, dem ein solch populäres sprich kundenfreundliches Werk 1887 gerne in sein Verlagsprogramm aufnahm. Dvořák hingegen schien dieses 'Schmankerl' eher etwas entschuldigen zu wollen und schrieb Simrock: "Die Arbeit freut mich ebenso, als wenn ich eine große Sinfonie schriebe. Die Stücke sind freilich mehr für Dilettanten gedacht, aber hat Beethoven und Schumann nicht auch einmal mit ganz kleinen Mitteln geschrieben, und wie...?"

Arabella Steinbacher

Die Geigerin Arabella Steinmacher, 1981 in München geboren, zeigte schon als Kind eine so außergewöhnliche Begabung, dass sie mit neun Jahren als jüngste Studentin zu der gefragten Geigenpädagogin Ana Chumachenko an die Münchner Musikhochschule kam. Mehrere Preise und Auszeichnungen, unter anderem der Förderpreis des Freistaates Bayern und ein Stipendium der Anne-Sophie-Mutter-Stiftung, ebneten ihr den Weg zu einer Karriere, deren jüngster Höhepunkt die Verleihung des ECHO Klassik-Preises 2007 war, verbunden mit dem Titel "Nachwuchskünstlerin des Jahres".

Arabella Steinbacher hat ihre Karriere überlegt geplant und sich trotz ihrer 'marktgerechten' Wunderkindqualitäten ganz auf ihre musikalische Entwicklung konzentriert. Heute begeistert sie ihr Publikum mit souveränen Interpretationen, einem überwältigend schönen Ton und einem Repertoire, das von Bach bis ins 21. Jahrhundert reicht. Der internationale Durchbruch gelang Arabella Steinbacher im März 2004 in Paris mit einem Konzert des Orchestre Philharmonique de Radio France unter der Leitung von Sir Neville Marriner, bei dem sie als Solistin von Presse und Publikum stürmisch gefeiert wurde. Es folgten Einladungen zu Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, dem DSO Berlin, den Wiener Symphonikern, dem Chicago Symphony Orchestra, dem London Philharmonic und vielen anderen bedeutenden Orchestern unter berühmten Dirigenten. Auch in diesem Jahr ist ihr Terminkalender angefüllt mit Auftritten auf den wichtigsten Konzertpodien; Sir Colin Davis, Christoph von Dohnányi und Herbert Blomstedt sind nur einige der Dirigenten, mit denen sie zusammenarbeitet. Unter anderem war sie die Solistin des Eröffnungskonzerts des diesjährigen Schleswig Holstein Musikfestivals, das vom Fernsehen live übertragen wurde. Außerdem stehen ihre Debüts beim Philharmonia Orchestra, beim Pittsburgh Symphony Orchestra und beim Orchestre de l’Opéra National de Paris bevor.

Von kluger Repertoireplanung zeugen die bisherigen CD-Einspielungen der jungen Geigerin, für die sie bereits zweimal den "Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik" erhielt, nämlich für eine CD mit Werken von Darius Milhaud und für eine weitere mit den beiden Violinkonzerten von Dmitrij Schostakowitsch.

Arabella Steinbacher spielt die "Booth"-Violine von Antonio Stradivari, Baujahr 1716, die ihr von der Nippon Music Foundation zur Verfügung gestellt wird. Von Anne-Sophie Mutter erhielt sie außerdem einen Geigenbogen des berühmten Bogenbauers Benoit Rolland.

Rober Kulek

Der Pianist Robert Kulek wird von der internationalen Presse für seine Musikalität und technische Meisterschaft gerühmt. In Lettland geboren, erhielt er seine Ausbildung an so renommierten Instituten wie dem Mannes College of Music in New York, dem New England Conservatory in Boston und der Guildhall School of Music and Drama in London. Heute lebt Kulek in den USA und konzertiert in aller Welt als Solist, ist aber auch als Kammermusiker außerordentlich gefragt. Zu seinen Partnern gehören die Geiger Nikolaj Znaider, Julian Rachlin und Julia Fischer, der Cellist Daniel Müller-Schott und andere namhafte Interpreten. Eine CD mit Daniel Müller-Schott und Werken von César Franck, Claude Debussy und Francis Poulenc erhielt eine der weltweit höchsten Presseauszeichnungen, „The Editor’s Choice“ des BBC Music Magazine. Inzwischen sind weitere hoch gelobte Einspielungen auf dem Markt, neuerdings auch eine CD mit Arabella Steinbacher und ebenfalls französischem Repertoire, nämlich mit Werken von Gabriel Fauré, Francis Poulenc und Maurice Ravel. Zukünftige Tourneen führen Robert Kulek nach Deutschland, England, Holland und Kanada.

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Kerstin Unseld