Musikstück der Woche 28.12.09 bis 3.1.10

Für achtsaitige Riesengeige

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Johannes Brahms: Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102

Für Brahms’ Doppelkonzert sind Christian und Tanja Tetzlaff sind die ideale Besetzung. Denn sie sind – als Geschwister – nicht nur familiär miteinander verbunden, sondern auch künstlerisch: Seit vielen Jahren machen Sie gemeinsam Musik. Unser Live-Mitschnitt stammt vom April 2008 aus dem Großen Saal der Stadthalle Aschaffenburg. Thierry Fischer leitet das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.

Musik als Beziehungskitt: Lange Jahre war der Geiger Joseph Joachim einer der engsten Freunde von Johannes Brahms. In einer Ehekrise der Joachims stellte sich Brahms auf die Seite von Amalie Joachim. Die Freundschaft der beiden Männer litt darunter. Brahms sehnte sich nach Versöhnung. Mit seinem letzten Orchesterwerk, dem Doppelkonzert für Geige, Cello und Orchester, versuchte er auf künstlerische Weise, das Zerwürfnis aufzulösen.

„Mache Dich auf einen kleinen Schreck gefaßt!“ schrieb Johannes Brahms im Sommer 1887 an Joseph Joachim. „Ich konnte nämlich derzeit den Einfällen zu einem Konzert für Violine und Violoncello nicht widerstehen, so sehr ich es mir auch immer wieder auszureden versuchte. Nun ist mir alles Mögliche an der Sache gleichgültig, bis auf die Frage, wie Du Dich dazu verhalten möchtest. Vor allem aber bitte ich Dich in aller Herzlichkeit und Freundlichkeit, daß Du Dich nicht im geringsten genierst. Wenn Du mir eine Karte schickst, auf der einfach steht: „Ich verzichte“, so weiß ich mir selbst alles Weitere und genug zu sagen.
So fangen meine Fragen an: Willst Du eine Probe davon sehen? Ich schreibe jetzt gleich die Solostimmen zusammen; magst Du Dir mit [dem Cellisten Robert] Hausmann die Mühe geben, sie auf ihre Spielbarkeit anzusehen? Könntest Du daran denken, das Stück irgendwo mit Hausmann und mir auf dem Klavier zu versuchen und schließlich etwa in irgendeiner beliebigen Stadt mit Orchester und uns?
Ich bitte um ein Wort und wiederhole, daß ich – Nun, obgedachte Karte schreibst Du vielleicht auch, wenn Du die Probe gesehen hast!
Ich sage nicht laut und ausführlich, was ich leise hoffe und wünsche.
Hausmann aber grüße bestens, und ich bin in alter Verehrung
Dein J.B.“

Joseph Joachims Antwort ist nicht überliefert – jedenfalls schickte er keine Karte mit einer Verzichtserklärung. Nach einer Vorab-Aufführung in Baden-Baden fand am 18. Oktober 1887 in Köln die Uraufführung des Doppelkonzertes statt. Der Erfolg war mäßig. Die Kritiker bemängelten, das Konzert sei zudem „mehr gearbeitet als inspiriert“. Und sie befanden die Kombination zweier Solostimmen für unglücklich; zwei Helden in einem Stück würden sich unvermeidlich die Show stehlen. Natürlich ist das Konzert kein Bravourstück, in dem sich die Solisten in virtuosem Glanz sonnen könnten – obgleich die spieltechnischen Anforderungen enorm sind. Der Reiz dieses Konzertes liegt vor allem im engmaschig gewobenen Dialog zwischen den beiden Solostimmen: sie müssen musikalisch so aufeinander eingehen, dass der Eindruck des organisch Gewachsenen, natürlich Atmenden entsteht – als spielten nicht zwei verschiedene Instrumente, sondern – wie Brahms einmal humorig kommentierte – eine einzige „achtsaitige Riesengeige“.

Christian und Tanja Tetzlaff

Christian und Tanja Tetzlaff sind – als Geschwister – nicht nur familiär miteinander verbunden, sondern auch künstlerisch: Seit vielen Jahren machen Sie gemeinsam Musik – unter anderem in Streichquartett-Formation.

Der Geiger Christian Tetzlaff (Foto: Pressestelle, www.christian-tetzlaff.de - Foto: Alexandra Vosding)
Der Geiger Christian Tetzlaff

Christian Tetzlaff ist gleichermaßen heimisch im Repertoire der Klassik und Romantik sowie im 20. Jahrhundert. Mit seinen Interpretationen der Violinkonzerte von Beethoven, Brahms, Tschaikowsky, Berg, Schostakowitsch und Ligeti begeistert er das Publikum ebenso wie mit seinen Aufführungen der Solosonaten und -partiten von Bach. Musical America kürte ihn 2005 zum „Instrumentalist of the Year“.
Er ist regelmäßig Gast in den Reihen der großen US-Orchester, bei europäischen Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, den Orchestern der ARD, dem Orchestre de Paris und dem Tonhalle-Orchester Zürich sowie bei zahlreichen Festivals. Er gibt Kammerkonzerte mit Leif Ove Andsnes, Alexander Lonquich und Lars Vogt und mit seinem Streichquartett.
Für seine Aufnahmen erhielt Christian Tetzlaff mehrere Preise, unter anderem zweimal den Diapason d’Or, den Edison Preis, den Midem Classical Award sowie den ECHO-Preis und Nominierungen für den Grammy. Christian Tetzlaff spielt eine Geige des deutschen Geigenbauers Peter Greiner. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt.

Die Cellistin Tanja Tetzlaff (Foto: SWR, SWR - Foto: Julia Beier)
Tanja Tetzlaff

Seine jüngere Schwester, Tanja Tetzlaff, studierte Cello an der Musikhochschule Hamburg und am Salzburger Mozarteum bei Heinrich Schiff. Nach großen Erfolgen bei internationalen Wettbewerben wurde sie bald zum gerne gesehen Gast bei den renommierten Orchestern in Europa und Übersee: darunter dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Orchester des Bayerischen Rundfunks München, dem Royal Flanders Orchestra, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, der Camerata Salzburg, dem Queensland Symphony Orchestra Brisbane und dem West Australian Symphony Orchestra Perth. Dabei arbeitet sie zusammen mit namhaften Dirigenten wie Lorin Maazel, Daniel Harding, Sir Roger Norrington, Philippe Herreweghe, Vladimir Ashkenazy und Paavo Järvi. Tanja Tetzlaffs besondere Liebe gilt der Kammermusik. Hier arbeitet sie mit namentlich mit der Pianistin Gunilla Süßmann zusammen. Sie spielt ein Cello von Giovanni Baptista Guadagnini aus dem Jahre 1776.

Thierry Fischer

Der Dirigent Thierry Fischer (Foto: Pressestelle, www.intermusica.co.uk -)
Der Dirigent Thierry Fischer

Der Schweizer Thierry Fischer studierte Flöte bei Aurèle Nicolet und begann seine musikalische Karriere als erster Flötist in Hamburg und am Zürcher Opernhaus. Dort studierte er Partituren unter Nikolaus Harnoncourt, der ihn stark beeinflusste. Seine Dirigentenlaufbahn begann Thierry Fischer in seinen Dreißigern, als er für einen erkrankten Kollegen einsprang. In der Folge dirigierte er seine ersten Konzerte mit dem Chamber Orchestra of Europe, wo er zuvor erster Flötist unter Claudio Abbado war. Abbado ermutigte ihn in seinem neu entdeckten Talent fürs Dirigieren. Nach Lehrjahren in den Niederlanden trat Thierry Fischer mit vielen führenden Orchestern Europas auf: Mit dem Ulster Orchestra in Belfast,dem City of Birmingham Symphony Orchestra, den Sinfonieorchestern von Halle und der BBC. Als Gastdirigent arbeitet er mit mehreren Radioorchestern der ARD, mit den Berliner Symphonikern, dem Netherlands Philharmonic, dem Orchestra Verdi di Milano, dem Monte Carlo Philharmonic, mit den Göteborger Sinfonikern und zahlreichen Kammerorchestern.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Foto: SWR, SWR - Lamparter)
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Das 1946 gegründete SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg identifiziert sich bis heute mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der pflegliche Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und einen Klangkörper kultiviert, der für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. Seit 1999 ist Sylvain Cambreling Chefdirigent. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern.

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich