Musikstück der Woche vom 30.11. bis 6.12.2009

Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Ein Gebet, Säbelrasseln und ein Liebeslied das ist - in aller Kürze - Peter Tschaikowskys Zusammenfassung von William Shakespeares "Romeo und Julia".

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielte diese Fantasie-Ouvertüre unter Leitung des jungen armenischen Dirigenten Ruben Gazarian am 29.04.2008 in seiner Reihe "RSO afterWork - Klassik ohne Frack 2008" in der Stuttgarter Liederhalle.

Der lange Schatten von Berlioz

Milij Alexejewitsch Balakirew, der Mentor des sogenannten "Mächtigen Häuflein", ist nicht nur Widmungsträger sondern vor allem auch Impulsgeber von Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre über Shakespeares "Romeo und Julia". Von ihm ging ein Impuls aus, der über ein paar Ecken und vor allem nicht (wie man meinen könnte) aus England sondern aus Frankreich kam: 1867 lernte Balakirew nämlich Hector Berlioz kennen, der nach Russland gereist war und dort mit seiner Tonsprache große Eindrücke hinterlies. Nach dieser Begegnung motivierte Balakirew seinen jungen Kollegen Tschaikowsky, sich an Berlioz' Oper "Roméo et Juliette" zu orientieren und sich den gleichen Shakespeares-Stoff als Vorlage für ein eigenes sinfonisches Werk zu wählen. Genaugenommen ist also Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre nicht 'nach Shakespeare' sondern 'nach Berlioz'.

Peter Tschaikowsky (Foto: SWR, SWR -)
Peter Tschaikowsky

Folgte Tschaikowsky bei der Wahl des Stoffes seinem Mentor, so entschied er sich bei der Umsetzung nicht seinem Rat zu folgen und schrieb statt einer Allegro-Einleitung, die nach Balakirews Vorstellung das Klirren der Schwerter hörbar machen sollte, ein getragenes Andante. Das russische Kirchenlied, das diesem Andante zugrunde liegt, trägt in seiner sakralen, feierlichen Anmutung dem Mönch Lorenzo Rechnung, der in jenseitigen Gedanken bereits die Tragödie voraus ahnt.

Die beiden beherrschenden Themen des Hauptteils sind einerseits die verfeindeten Adelsgeschlechter, aus denen Romeo und Julia entstammen und die sie zu trennen versuchen, andererseits natürlich das Liebesthema, das sie verbindet. In nuce ist hier Shakespeares Tragödie zusammengefasst. Das Liebeslied von Romeo und Julia, die bange Frage, ob denn die Nachtigall oder schon die Lerche ihr Lied angestimmt habe, verwandelte Tschaikowsky in eine schöne Englischhorn-Kantilene, die über einem gedämpften Streicherklang schwebt.

Im März 1870 dirigierte Nikolai Rubinstein die Uraufführung des Werkes. Als Leiter des Moskauer Konservatorium hatte Nikolai Rubinstein Tschaikowsky als Lehrer verpflichtet. Die beiden Musiker waren nicht nur Kollegen, sondern lebten in einer Wohngemeinschaft zusammen, in der Rubinstein den eher mittellosen Komponisten unterstützte.

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Foto: SWR, SWR -)
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt jährlich rund 90 Konzerte im Sendegebiet des Südwestrundfunks, in den nationalen und internationalen Musikzentren und bei bedeutenden Musikfestspielen. Das RSO pflegt das klassisch-romantische Repertoire in exemplarischen Interpretationen und setzt sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten aufgeführte Komponisten und Werke ein.
Viele namhafte Dirigentenpersönlichkeiten haben das RSO in den letzten 60 Jahren geprägt, unter Ihnen Sergiu Celibidache, Carl Schuricht, Sir Georg Solti, Giuseppe Sinopoli, Carlos Kleiber, Sir Neville Marriner, Georges Prêtre und Herbert Blomstedt. Ebenso konzertieren regelmäßig hochkarätige Solisten aller Generationen beim RSO.

Seit 1998 ist Sir Roger Norrington Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart. Er verleiht "seinem" Orchester ein unverwechselbares klangliches Profil durch die Verbindung von historisch informierter Aufführungspraxis mit den Mitteln eines modernen Sinfonieorchesters. Ergebnis dieser Synthese ist ein "reiner Klang", der von der Presse gerne als "Stuttgart Sound" bezeichnet wird.

Als Gastdirigent trat in diesem Mitschnitt "RSO afterWork - Klassik ohne Frack" vom 29.4.2008 der junge Armenier Ruben Gazarian auf. Der 1971 geborene Dirigent ist sei 2002 künstlerischer Leiter des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn, nachdem er den 1. Internationalen Dirigentenwettbewerb "Sir Georg Solti" in Frankfurt am Main gewonnen hatte. Als Gastdirigent stand Gazarian nicht nur am Pult des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR, sondern auch bei renommierten Orchestern wie dem WDR-Sinfonieorchester Köln, dem RSO-Frankfurt, den Hamburger Symphonikern, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg, dem Orchestre National de Lyon, dem Züricher Kammerorchester und anderen.

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Kerstin Unseld