Musikstück der Woche 23.11.-29.11.2009

Mut, original zu sein

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Franz Benda: Violinkonzert Es-Dur

Franz Bendas Violinkonzert ist ein Spiegel der Geigenkunst des 18. Jahrhunderts: die Geige kann darin wirbeln und atemberaubende Kapriolen schlagen, aber auch schwelgen, klagen und singen. Gottfried von der Goltz ist der Solist in unserem Musikstück der Woche – und er leitet von der Geige aus das Freiburger Barockorchester. Ein Live-Mitschnitt vom März 2008 im Konzerthaus Freiburg.

Imagepflege würde man es heute nennen: Friedrich der Große wusste, wie vorteilhaft es für einen Herrscher sein kann, wenn sein Hof im Licht der Künste strahlt. Als junger Kronprinz engagierte er die besten Musiker und Komponisten an sein kleines Residenzschloss Rheinsberg. Es ging ihm aber nicht nur um PR, sondern auch um die Sache selbst: Er war ein begabter Flötist und komponierte sogar eine Reihe von Werken für sein Instrument.

Anfang 1733 stieß der junge Geiger und Sänger Franz Benda zum Kreis der fürstlichen Musiker. Und schon bald galt er als einer der besten Violinvirtuosen Deutschlands. Sein Kollege Carl Philipp Emanuel Bach – sonst wahrlich nicht sparsam mit Kritik – schrieb voller Bewunderung über Bendas seelenvolle und gesangliche Art zu musizieren: "So wahrhaft cantabile ist sein Spiel, dass kaum eine Passage in seinen Kompositionen zu finden ist, die nicht von der menschlichen Stimme gesungen werden kann; und er vermag, mit seinem Spiel so sehr zu berühren, er spielt ein Adagio mit soviel Pathos, dass einige bekannte Professoren mir anvertrauten, er habe sie bei seinem Adagio häufig zu Tränen gerührt."

Rührungstränen kann man auch im Mittelsatz von Bendas Violinkonzert vergießen. Er ist überschrieben mit "Affetuoso man non troppo lento" (Ausdrucksstark, aber nicht zu langsam) und steht in c-Moll, der klassischen Tonart für Klage, Trauer, Pathos und Abgründiges. Diese Charakteristik der Tonart kostet Benda genussvoll aus: mit schluchzenden Seufzerfiguren, harmonischen Reibungen und überraschend schroffen Wendungen.
Die beiden Ecksätze haben noch viele barocke Elemente in sich: Manche harmonischen Wendungen, die sich treppenartig in Quinten abwärts bewegen, könnte man genau so bei Vivaldi finden. Und auch der Bauplan mit seinen blockartigen Abschnitten von Tutti- und Solostellen ist von der vorigen Generation geborgt. Aber Benda füllt die alten Formen mit neuen, teilweise sehr individuellen Inhalten. Seine besondere Vorliebe ist es, grundverschiedene Themen oder musikalische Bausteine, die eigentlich nichts gemeinsam haben, geschickt miteinander zu verschränken: Im ersten Satz prallen ausgedehnte Linien, die sich schmerzvoll in Halbtonschritten dahin winden, unmittelbar zusammen mit beherzt aufstampfenden Rhythmen; der dritte Satz setzt immer wieder an zu nachdenklichem Innehalten, und schwenkt dann plötzlich um zu wirbelnder Fröhlichkeit. Die Anforderungen an den Solisten sind immens – das gilt nicht nur für die Virtuosität und die technischen Anforderungen, sondern auch für den Reichtum an Klangfarben und das breit gefächerte Ausdrucksspektrum. Die Musik gibt dem englischen Musikgelehrten Charles Burney Recht, der nach einem Besuch bei der Hofkapelle Friedrichs des Großen notierte "Von allen Tonmeistern, welche seit länger als dreißig Jahren in preußischen Diensten gestanden haben, haben vielleicht nur zwei, nämlich C. Ph. E. Bach und Franz Benda, ganz allein den Mut gehabt, selbst original zu sein".

Gottfried von der Goltz

Gottfried von der Goltz hat sich als Barockgeiger und als künstlerischer Leiter des Freiburger Barockorchesters einen international beachteten Namen gemacht. Wie im 18. Jahrhundert üblich, leitet er das FBO vom Pult des Konzertmeisters aus. Darüber hinaus vertauscht er gelegentlich die Geige mit dem Dirigentenstab, wie beispielsweise im Beethoven-Zyklus des Freiburger Barockorchesters.
Neben vielschichtigen kammermusikalischen Engagements hat Gottfried von der Goltz auch die künstlerische Leitung des Norsk Barokkorkesters inne. Darüber hinaus ist er als Professor an der Hochschule für Musik Freiburg ein gefragter Lehrer für barocke und moderne Violine.

Freiburger Barockorchester

Der Barock spielt für das FBO auch im zwanzigsten Jahr seines Bestehens eine besondere Rolle. Zwar haben sich die "Freiburger" inzwischen ebenso einen Namen als kompetente Interpreten klassischer, romantischer und sogar zeitgenössischer Musik gemacht, doch repräsentiert das "Barock" im Namen des Orchesters mehr als nur eine Epochenbezeichnung: Es steht für die aufführungspraktische Perspektive der Musiker und für ihren Spaß am Musikantischen, an einem kultivierten und zugleich virtuosen Ensemblespiel. Mit diesem musikalischen Selbstverständnis hat das Freiburger Barockorchester die bekanntesten Konzertsäle der Welt erobert. Aus der barocken Perspektive klingt gerade die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts jung und modern und keineswegs nach Alter Musik, sondern so unmittelbar, als wäre die Tinte auf den Notenblättern noch feucht.
Die herausragende Stellung des Freiburger Barockorchesters im internationalen Musikleben äußert sich sowohl in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit bedeutenden Künstlern wie Andreas Staier, Thomas Quasthoff, Cecilia Bartoli und René Jacobs, als auch in einer engen Kooperation mit dem französischen Label harmonia mundi France und findet Niederschlag in zahlreichen CD-Produktionen und prominenten Auszeichnungen. So erhielt das FBO 2008 zweimal den angesehenen Edison Classical Music Award: für die Einspielung von Händels "Messiah" (Chormusik) und von Mozarts "Don Giovanni" (Oper). Die Aufnahme von Mozarts Oper "Idomeneo" mit dem Dirigenten René Jacobs wurde mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik 2009 ausgezeichnet.
Unter der künstlerischen Leitung seiner beiden Konzertmeister Gottfried von der Goltz und Petra Müllejans oder unter der Stabführung ausgewählter Dirigenten präsentiert sich das FBO mit rund einhundert Auftritten pro Jahr in unterschiedlichen Besetzungen vom Kammer- bis zum Opernorchester: ein selbstverwaltetes Ensemble mit eigenen Abonnementkonzerten im Freiburger Konzerthaus, in der Stuttgarter Liederhalle und der Berliner Philharmonie und mit Tourneen in der ganzen Welt.

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Doris Blaich