Musikstück der Woche vom 28.9.-4.10.2009

Tochter der Schwermut

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Sergej Rachmaninow: Elégie es-moll op. 3 Nr. 1

Hat Rachmaninow bereits als Neunzehnjähriger sämtliche Facetten der Wehmut erlebt? Seine Elégie für Klavier scheint es nahezulegen, denn sehnsüchtiger und glühender kann Musik kaum sein. Bernd Glemser spielt in unserem Musikstück der Woche, das wir 2008 bei einem Konzert der Reihe „Internationale Pianisten in Mainz“ aufgezeichnet haben.

"Rachmaninow", so schrieb ein Zeitgenosse, "war geschaffen aus Stahl und Gold: Stahl in seinen Armen, Gold in seinem Herzen". Gold hatte Rachmaninow auch in der Hand, als er 1892 die Elégie in es-moll schrieb: Für seinen fulminanten Studienabschluss in den Fächern Klavier und Komposition verlieh ihm das Moskauer Konservatorium die Große Goldmedaille. 19 Jahre alt war Rachmaninow damals; schon mit 13 hatte ihn das Konservatorium als Klavierstundenten aufgenommen. Anton Arenskij wurde später sein wichtigster Kompositionslehrer, und ihm ist die Elégie – wie auch die übrigen Stücke aus Rachmaninows Sammlung von "Cinq morceaux de Fantaisie" op. 3 – gewidmet.

Elegie auf schwarzen Tasten

Es-moll hat sechs b-Vorzeichen, es ist vielleicht die düsterste Tonart überhaupt, die sich fast nur auf den schwarzen Tasten der Klaviatur bewegt. Die Elégie ist mit diesen erdigen, dunklen Farben grundiert: weiträumige Akkordbrechnungen betten eine wehmütige Melodie ein, mal gabelt sie sich zur Mehrstimmigkeit auf, dann mündet sie wieder in eine einstimmige, gesangliche Linie. Sie bewegt sich in bogenförmigen Phrasen, und auch die musikalische Spannung ist in großen Bögen oder Wellen auf- und abgebaut, die sämtliche Nuancen der Wehmutskala anklingen lassen.
Im Mittelteil schimmert dann helleres Licht in die Musik hinein. Die Grundtonart rückt nach A-Dur, gleichsam vom äußersten Norden auf die Südhalbkugel des Tonartenspektrums. Die Melodie wandert in die Bassstimme, die hohen Begleitstimmen werfen von oben herab funkelnde Farbreflexe ein. Auch hier baut Rachmaninow eine große, gefühlvolle Steigerung, bevor er wieder zum Anfangsteil zurückkehrt und die Elégie in einem merkwürdig offenen, schillernden Schluss ausklingen lässt.

"Was ist Musik?"

Rachmaninows Antwort auf die Frage "Was ist Musik?" könnte (obwohl Jahre später formuliert) in ihrer poetischen Bildersprache ein direkter Kommentar zu diesem Klavierstück sein: "Was ist Musik?! Eine ruhige Mondnacht; Das Rauschen der Blätter; Entferntes Abendläuten; Das, was von Herz zu Herz geht; Die Liebe; Die Schwester der Musik ist die Poesie – ihre Mutter: die Schwermut!"

Bernd Glemser

Der Pianist Bernd Glemser (Foto: Website Agentur Music Masters Management  - Olli Rust)
Bernd Glemser

Bernd Glemser war selbst noch Student an der Freiburger Musikhochschule, als er 1989 zum damals jüngsten Klavierprofessor Deutschlands berufen wurde – dafür musste er sich aber erst einmal exmatrikulieren. Zuvor hatte er bei Klavierwettbewerben auf der ganzen Welt Erfolge gefeiert und 17 Wettbewerbe in Folge gewonnen, darunter den Busoni-, den Tschaikowsky- und den ARD-Musikwettbewerb. Von den Preisgeldern konnte er sich seinen ersten Flügeln kaufen.
Mittlerweile konzertiert Bernd Glemser in aller Welt. 1996 war er der erste Künstler aus dem Westen, der live im chinesischen Fernsehen spielte. Seine bisher 30 CD-Aufnahmen erhielten fast ausnahmslos Auszeichnungen von der Fachpresse. Dazu gesellen sich viele weitere Auszeichnungen, wie der Europäische Pianisten-Preis, den Bernd Glemser 1993 in Zürich erhielt, der Kunstpreis der Stadt Würzburg (2006) und das Bundesverdienstkreuz (2003).
Übrigens stammt Bernd Glemser aus dem Sendegebiet des SWR: von der Schwäbischen Alb. Als Junge ist er oft mit den Skiern zum Klavierüben gefahren …

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Doris Blaich