Musikstück der Woche vom 15. bis 21.6.2009

Ein verspätetes Sonaten-Geschenk

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Dmitrij Schostakowitsch: Violinsonate op. 134

Die Sonate ist Schostakowitschs zweiter Anlauf zu einem Geburtstagsgeschenk für den Geiger David Oistrach - diesmal klappte es fast zur rechten Zeit. Unser Livemitschnitt aus dem Foyer des SWR Studios Freiburg stammt aus dem Jahr 2006 (zwei Jahre vor Oistrachs Hundertstem). Es spielen Michael Dinnebier (Violine) und Angela-Charlott Bieber (Klavier).

Viele Leute sind beleidigt, wenn man sie älter schätzt als sie sind. Für den russischen Geiger David Oistrach war die Fehleinschätzung seines Freundes Schostakowitsch allerdings ein Grund zur Freude – so bekam er nämlich gleich zwei komponierte Geschenke. Eigentlich wollte Schostakowitsch den Geiger zum 60. Geburtstag mit einem großen Violinkonzert überraschen; aber das Konzert kam ein Jahr zu früh: Oistrach wurde erst 59. Um den Irrtum auszugleichen, schob Schostakowitsch im Jahr darauf (1969) die Violinsonate nach. Oistrach erinnert sich: „Offenbar meinte Dmitrij Dmitrijewitsch, dass er, da er sich nun einmal geirrt hatte, diesen Fehler unbedingt ausbessern müsse. So entstand die Sonate für Violine und Klavier ... Ich hatte nichts dergleichen erwartet, obwohl ich schon seit langem davon träumte, dass Schostakowitsch einmal eine Geigensonate schreiben würde. Das war ein prächtiges Geschenk, nicht nur für mich, sondern natürlich für unsere ganze Musikwelt ... Überall wurde die Sonate warm aufgenommen.“ Dass Schostakowitsch mit dem Sonaten-Geschenk nicht rechtzeitig fertig wurde (die letzten Takte beendete er erst drei Wochen nach der Geburtstagsfeier), darüber konnte David Oistrach großzügig hinwegsehen. Wenig später spielte er die Uraufführung mit Swjatoslaw Richter am Klavier. Und schon 1970 wurde der dritte Satz Pflichtstück für die Geiger, die am Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb teilnahmen. 

Wenig Noten – viel Musik

Archivbild des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Dmitri Schostakowitsch

Konzentration der Mittel und Klarheit im Ausdruck kennzeichnen das Spätwerk von Schostakowitsch. „Es mögen nur wenig Noten sein, aber es ist viel Musik“, sagte er einmal über seine Filmmusik zu „König Lear“. Das trifft auch auf die Violinsonate zu. Der erste Satz beginnt mit einem Thema, in dem alle zwölf Töne der chromatischen Tonleiter auftauchen und wird dann frei weitergeführt. Die Zwölftontechnik dient hier als Mittel zur Erweiterung des musikalischen Spielfeldes: das Ohr wird von der Wohligkeit einer Grundtonart entfremdet. Nach den gedämpften, melancholischen Farben dieses Andantes wirkt der schnelle Mittelsatz bunt und zuweilen grell. Es ist ein verzerrter Marsch: sarkastisch, ironisch, leichtfüßig-witzig. Für das Finale wählte Schostakowitsch die Form einer Passacaglia: es ist ein großer Variationssatz, an dessen Ende das Thema des ersten Satzes noch einmal in Erinnerung gerufen wird – nur um mit einem stillen, entkräfteten Flattern zu ersterben. 

Michael Dinnebier und Angela-Charlott Bieber

Michael Dinnebier (Foto: SWR, SWR - Klaus Mellenthin)
Michael Dinnebier

Michael Dinnebier ist Stimmführer der zweiten Violinen im SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg – zuvor war er erster Geiger im Luzerner Sinfonieorchester und Konzertmeister des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München.

Seinen ersten Geigenunterricht erhielt Michael Dinnebier im Alter von fünf Jahren bei seinem Vater. Er studierte an den Musikhochschulen München und Freiburg bei Kurt Guntner, Nicolas Chumachenco und Hansheinz Schneeberger sowie Kammermusik an der Musikakademie Basel bei Hatto Beyerle und Walter Levin.

Die Pianistin Angela-Charlott Bieber stammt aus München. Sie studierte bei Jürgen von Oppen (München), Alfons Kontarsky (Salzburg) und Rudolf Buchbinder (Basel). 1983 gewann sie den ersten Preis beim Bundeswettbewerb der deutschen Musikakademien. Als Solistin, Liedbegleiterin und Kammermusikpartnerin ist sie in Konzerten und Rundfunkaufnahmen im In- und Ausland zu hören. Ihre besondere Vorliebe gilt den Werken der Wiener Klassik und denen Schumanns.

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Doris Blaich