Musikstück der Woche vom 1.06.- 7.06.09

"Das Beste herausgefischt"

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Johann Sebastian Bachs Suite h-moll für Flöte und Orchester

Die Suite h-moll für Flöte und Orchester ist eine musikalische Begegnung zwischen Frankreich und Italien auf dem Boden des Bachschen Kontrapunkts. Karl Kaiser spielt fürs Musikstück der Woche den Flötenpart, das Freiburger Barockorchester begleitet. (Livemitschnitt vom April 2008 im Konzerthaus Freiburg)

Die Angeln in französische und italienische Gewässer zu halten und das Beste für sich herauszufischen - das empfahl der Hamburger Musikgelehrte Johann Mattheson seinen Komponistenkollegen; und er umschrieb damit den sogenannten "vermischten Geschmack", der charakteristisch für die Musik im Deutschland des frühen 18. Jahrhunderts ist. Herausgefischt wurden nationale musikalische Idiome: Aus Frankreich vor allem Tanzsätze, die sich vom französischen Königshof aus beim europäischen Adel etablierten; außerdem die dreiteilige französische Ouvertüre, der Jean-Baptiste Lully mit ihren scharfen Punktierungen und rollenden Läufen ein verbindliches Vokabular verliehen hatte. Aus italienischen Gewässern stammten die Da-Capo-Arie und ihr instrumentales Gegenstück: die von Antonio Vivaldi geprägte Ritornell-Konzertform mit ihren Solo-Tutti-Kontrasten.

Der Komponist Johann Sebastian Bach auf einem Ölgemälde von Elias Gottlob Haußmann (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Der Komponist Johann Sebastian Bach

Johann Sebastian Bach hat weder Frankreich noch Italien bereist. Mit dem musikalischen Repertoire der beiden führenden Musiknationen war er indessen bestens vertraut, und er wusste die typischen Züge der französischen wie der italienischen Musik mit der gelehrten deutschen Kompositionsart einfallsreich zu verbinden. Im Kopfsatz der Orchestersuite h-moll etwa verschmilzen die Strenge der französischen Ouvertüre mit der Virtuosität italienischer Concerti, die sich im Flötenpart Mittelteil des Satzes findet.

Balance und Badinerie

Die Suite entstand wahrscheinlich um 1720, als Bach "Hochfürstlich-Anhalt-Cöthenscher Capellmeister" war. In Köthen stand ihm ein gutes Orchester zur Verfügung und offenbar auch ein erstklassiger Flötist, denn aus dieser Zeit stammen auch Bachs Sonaten für Flöte und Cembalo sowie die Partita für Flöte solo. Die Rolle der Flöte wechselt in der h-moll-Suite zwischen virtuosem Soloinstrument, gleichberechtigtem Partner der Streichinstrumente und bloßer Klangfarbe. Es ist vor allem die Idee, das Verhältnis zwischen Soloinstrument und Orchester immer neu zu bestimmen, die dieser Suite ihr individuelles Gepräge verleiht.

Im "Rondeau" sind die Soloepisoden der Flöte wie Intarsien eingearbeitet. Die Sarabande ist der vielleicht am meisten zeremonialisierte Tanz jener zeit, der dem höfischen Tänzer eine ausgezeichnete Gelegenheit bot, Grazie, Würde, Selbstbeherrschung und geistige Beweglichkeit zu präsentieren. In Bachs "Sarabande" spielen Flöte und erste Geigen eine gemeinsame Stimme, um einen Takt versetzt folgt im strengen Quintkanon der Bass. Trotz ausgeklügeltster Satztechnik ist nichts von jener Lässigkeit eingebüßt, die für das Verhalten bei Hofe oberstes Gebot war.

Im Satzpaar "Polonaise-Double" tauschen Ober- und Unterstimmen ihre Rollen: Die eingängige Flöten-Melodie der "Polonaise" wandert im "Double" ins Cello - wo sie weiterhin die Hauptstimme bleibt, zugleich aber der Flöte eine Plattform für rasche Läufe und Sprünge bietet. Ein schlichtes "Menuet" leitet über zur abschließenden "Badinerie" (Tändelei), in der ein durchsichtiger Orchestersatz dem Solisten noch einmal die Bühne freigibt für eine auskomponierte Zugabe.

Freiburger Barockorchester

Der Barock spielt für das FBO auch im zwanzigsten Jahr seines Bestehens eine besondere Rolle. Zwar haben sich die "Freiburger" inzwischen ebenso einen Namen als kompetente Interpreten klassischer, romantischer und sogar zeitgenössischer Musik gemacht, doch repräsentiert das "Barock" im Namen des Orchesters mehr als nur eine Epochenbezeichnung: Es steht für die aufführungspraktische Perspektive der Musiker und für ihren Spaß am Musikantischen, an einem kultivierten und zugleich virtuosen Ensemblespiel. Mit diesem musikalischen Selbstverständnis hat das  Freiburger Barockorchester die bekanntesten Konzertsäle der Welt erobert. Aus der barocken Perspektive klingt gerade die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts jung und modern und keineswegs nach Alter Musik, sondern so unmittelbar, als wäre die Tinte auf den Notenblättern noch feucht.

Die herausragende Stellung des Freiburger Barockorchesters im internationalen Musikleben äußert sich sowohl in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit bedeutenden Künstlern wie Andreas Staier, Thomas Quasthoff, Cecilia Bartoli und René Jacobs, als auch in einer engen Kooperation mit dem französischen Label harmonia mundi France und findet ihren erfolgreichen Niederschlag in zahlreichen CD-Produktionen und prominenten Auszeichnungen. So erhielt das FBO erst kürzlich zweimal den angesehenen Edison Classical Music Award 2008 für die Einspielung von Händels "Messiah" (Chormusik) und von Mozarts "Don Giovanni" (Oper).

Unter der künstlerischen Leitung seiner beiden Konzertmeister Gottfried von der Goltz und Petra Müllejans oder unter der Stabführung ausgewählter Dirigenten präsentiert sich das FBO mit rund einhundert Auftritten pro Jahr in unterschiedlichen Besetzungen vom Kammer- bis zum Opernorchester: ein selbstverwaltetes Ensemble mit eigenen Abonnementkonzerten im Freiburger Konzerthaus, in der Stuttgarter Liederhalle und der Berliner Philharmonie und mit Tourneen in der ganzen Welt.

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Doris Blaich