Musikstück der Woche vom 11.5. bis 17.5.2009

Kantaten für Kaufleute

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Dietrich Buxtehude: „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“

Der Lübecker Organist Dietrich Buxtehude schrieb eine Fülle von Musik für reiche Kaufleute, die vor Eröffnung der Börse seine Kirchenkonzerte besuchten. Das Ensemble Cantus Cölln singt aus diesem Repertoire die Kantate „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“. Unser Live-Mitschnitt entstand bei einem Konzert in profanem Rahmen: Im Festsaal des Konstanzer Inselhotels im Februar 2008.

Wer in Lübeck um 1650 Geschäfte an der Börse machen wollte und schon frühzeitig eintraf, konnte sich die Zeit angenehm verkürzen und einem Konzert lauschen: nebenan in der Marienkirche fanden speziell für die Kaufleute Orgelkonzerte statt, in denen der Lübecker Organist Franz Tunder gegen ein kleines Eintrittsgeld zu hören war. Tunders Nachfolger Dietrich Buxtehude machte aus den sporadischen musikalischen Kaufmanns-Unterhaltungen eine exklusive Konzertreihe. Er bot fünf sonntägliche Konzerttermine mit groß besetzten Werken an: Abendfüllende Oratorien, große Kantaten und Kammermusik. Der Eintritt zu Buxtehudes „Abendmusiken“ war frei, aber wer einen Sitzplatz wollte, musste dafür bezahlen. Für ein gedrucktes Textbuch verlangte Buxtehude ebenfalls Geld – und die reichen Lübecker Bürger und Geschäftsleute zahlten gerne für diesen Service.

Organistenmagnet Buxtehude

Darüber hinaus kamen Musiker und Musikliebhaber aus ganz Deutschland, um Buxtehudes Konzerte und vor allem sein Orgelspiel zu hören – er war einer der berühmtesten Organisten Europas. Der junge Johann Sebastian Bach nahm dafür einen 400 km langen Fußmarsch von Arnstadt nach Lübeck auf sich – und handelte sich anschließend Ärger mit seinem Vorgesetzten ein, weil er seinen Urlaub hoffnungslos überzogen hatte. Georg Friedrich Händel reiste 1703 von Hamburg nach Lübeck und ließ sich von Buxtehudes Kunst beeindrucken. So manch ein Musiker liebäugelte auch damit, Buxtehudes Nachfolger an der Marienkirche zu werden. Doch die Stelle war an eine Bedingung geknüpft: der Anwärter musste die Tochter des Meisters heiraten (wie es auch in vielen Handwerksbetrieben üblich war). Und das wenig schmeichelhafte Äußere der Jungfer Anna Margaretha Buxtehude wog offenbar schwerer als der Ehrgeiz der jungen Organisten. „Weil eine Heiratsbedingung bei der Sache vorgeschlagen wurde, wozu keiner von uns die geringste Lust bezeugte, schieden wir nach vielen empfangenen Ehrenbezeugungen und genossenen Lustbarkeiten von dannen“, so schilderte es Händels Weggefährte Johann Mattheson lapidar.

Herzlich lieb

Die Komposition von Kantaten für den Gottesdienst gehörte nicht zu den Dienstpflichten Buxtehudes – das war Sache des Kantors. Buxtehude, der Organist, war allein für die Orgelmusik in der Marienkirche zuständig. Dennoch ist aus seiner Feder eine Fülle von geistlichen Kantaten überliefert. Buxtehude schreib sie für seine kirchlichen (nicht liturgischen) Konzerte und für die Abendmusiken. Wahrscheinlich entstand auch die Kantate „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ für diesen Anlass. Der Text ist ein protestantisches Kirchenlied des Wittenberger Theologen Martin Schalling aus dem Jahr 1569 (vor allem die letzte Strophe, „Ach Herr, lass dein’ lieb’ Engelein“ ist uns heute geläufig, da Johann Sebastian Bach sie für den Schlusschor seiner Johannes-Passion wählte). Die dazugehörige Melodie eines anonymen Komponisten war zu Buxtehudes Zeiten schon wohlbekannt. Diese Choralmelodie ist die musikalische Grundlage von Buxtehudes groß angelegter Choralkantate: sie umfasst über 300 Takte und gehört in ihrer klaren Architektur, ihrem harmonischen Reichtum und der kunstvollen musikalischen Textausdeutung zu den bedeutendsten Kantaten des Barock.

Cantus Cölln

Cantus Cölln wurde 1987 von dem Lautenisten Konrad Junghänel gegründet,; er leitet das Ensemble bis heute. Die Stammbesetzung besteht aus fünf solistischen Sängern, die seit vielen Jahren miteinander Musik machen und dabei einen ganz charakteristischen, schlanken und durchsichtigen Klang geprägt haben. Cantus Cölln widmet sich in erster Linie der deutschen und italienischen Vokalmusik aus Renaissance und Barock, und das Ensemble hat in den letzten dreißig Jahren mit vielen großartigen Entdeckungen unser Konzertrepertoire bereichert. Die meisten der fast 30 CD-Produktionen wurden mit internationalen Preisen gewürdigt, darunter dem „Edison Award", dem "Diapason d'Or" und dem "Grand Prix du Disque". Für seine Einspielung von Monteverdis "Selva morale e spirituale" wurde Cantus Cölln im Jahr 2002 gleich mit drei hochrangigen Preisen ausgezeichnet: mit dem "Grammophone Award", dem "Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik" und dem "Caecilia Price".

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich