Musikstück der Woche mit dem Ensemble De Profundis

Georg Philipp Telemann: Violinsonate g-Moll

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AUTOR/IN
Doris Blaich

Trendy, smart und gut vernetzt – von Telemanns Business-Fähigkeiten können wir uns heute eine Scheibe abschneiden. Damals ganz ohne Fax und Web! Im Ettlinger Schlosskonzert vom 6. Januar 2013 spielte der Geiger François Fernandez Telemanns frühe Violinsonate g-Moll; begleitet von Ageet Zweistra (Violoncello) und Lorenzo Feder (Orgel).

Witzig, wendig, Weltläufig: der barocke Multitasker Telemann

2017 ist Telemann-Jahr! Vor 250 starb Telemann in Hamburg – nach einem 86 Jahre langen und schwindelerregend arbeitsreichen Leben.

Telemann war ein echter Workaholic: Neben seinen vielfältigen Aufgaben als Musikdirektor in Frankfurt und (seit 1721) als städtischer Musikdirektor, Kantor und Leiter der Oper in Hamburg fand er die Zeit, eine schier unvorstellbare Fülle von Musik zu schreiben. Allein über 1000 geistliche Kantaten sind von ihm überliefert, zusätzlich über 50 Passionen und Oratorien, abendfüllende Opern, Kammermusik, Instrumentalkonzerte, Lieder und Gelegenheitswerke für die verschiedensten Anlässe: Bürgermeisterwahlen, Kapitäns-, Hochzeits-, Trauer- und Geburtstagsmusiken.

Etliche Werke mit längerer Überlebenschance veröffentlichte er im Druck – und erwies sich dabei als kluger, pragmatischer und geschäftstüchtiger Unternehmer; etwa wenn er auf der letzten Seite eines Sonaten-Drucks regelmäßig sein nächstes Heft bewarb: da fand der Musiker dann die Anfangstakte der nächsten Sonate. „Cliffhanger“ nennen heutige Marketing-Strategen diese Appetithäppchen-Technik.

Georg Philipp Telemann (Foto: SWR, Georg Lichtensteger -)
Georg Philipp Telemann (Stich von Georg Lichtensteger um 1745)

Die Zeitgenossen verehrten Telemann und seine Musik, sie schätzten seine Wendigkeit (er hatte ein erstklassiges Gespür für musikalische Trends und war seiner Zeit immer einen Schritt voraus), seinen Witz, seine Weltläufigkeit – Telemann beherrschte (noch aus Schulzeiten) Latein in Griechisch, er sprach fließend Französisch und kommunizierte mit Kollegen, Freunden und Gelehrten auf Englisch und Italienisch.

Und: er verstand die Sprache der Blumen. Sein Garten vor den Toren Hamburgs war ein Magnet für Pflanzenfreunde, und dank der guten Beziehungen zu ausländischen Komponistenkollegen wuchs dort manche Rarität. Händel zum Beispiel – damals in London –schenkte Telemann exotische Pflanzen aus den Britischen Kolonien.

Schreiben, Stechen, Streichen

Die Violinsonate g-Moll schrieb Telemann noch in seiner Frankfurter Zeit und veröffentlichte sie 1715 im Selbstverlag. Die Druckplatten für Violin- und Continuo-Stimme hat er selbst gestochen. Die Musik verrät Telemanns Gespür für gesangliche Melodien und für große, zuweilen theatralische Wirkungen; vor allem die beiden langsamen Sätze enthalten viel opernhaftes Pathos: Hier darf die Geige mit großer Geste auftreten wie eine klagende Operndiva. Die beiden schnellen Sätze zeigen in ihrer sprudelnden Lebenslust die leuchtende Kehrseite der g-Moll-Medaille.

François Fernandez

begann bereits mit 12 Jahren, während der Ausbildung auf der modernen Violine, das Spiel auf der Barockvioline zu erlernen. Er setzte seine Studien bei Sigiswald Kuijken am Koninklijk Conservatorium Den Haag fort, wo er 1980 das Solistendiplom erwarb. Schnell wurde er zu Kuijkens engstem Mitarbeiter und übernahm 1986 die Stelle des Konzertmeisters im Barockorchester La Petite Bande, dem er angehörte, seit er siebzehn war. In dieser Zeit arbeitete er, in der Regel als Konzertmeister oder Solist, mit renommierten Barockorchestern zusammen, wie z.B. dem Orkest van de Achttiende Eeuw (unter Leitung von Frans Brüggen), La Chapelle Royale (Philippe Herreweghe) oder Melante ’81 (Bob van Asperen). Seit etwa zwanzig Jahren widmet er sich der Kammermusik und tritt weltweit bei den bedeutendsten Festivals auf. Außerdem gibt er regelmäßig Solokonzerte, insbesondere mit den Sonaten und Partiten Johann Sebastian Bachs. Neben der Violine spielt Fernandez auch Bratsche, Diskantgeige, Viola d’amore, Gambe und Viola da spalla (eine Art Mini-Cello, das man auf der Schulter hält).

Nach Lehrtätigkeiten in Toulouse, Liège, Brüssel und Trossingen wurde er vor zehn Jahren zum Professor ans Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris berufen und trat parallel dazu die Nachfolge von Sigiswald Kuijken am Conservatoire Royal in Brüssel an. Seine Diskographie umfasst knapp 100 Kammermusik-Aufnahmen. 

Ageet Zweistra

studierte Cello bei Anner Bylsma am Konservatorium von Den Haag. Schon bald wurde sie Mitglied im Amsterdam Baroque Orchestra (unter der Leitung von Ton Koopman), im Collegium Vocale Gent (Philippe Herreweghe) und im Ensemble Mosaïques (Christophe Coin), außerdem ist sie Gründungsmitglied und Solocellistin in Herreweghes Orchestre des Champs-Elysées. Sie wirkte bei über 100 CD-Aufnahmen mit und bereiste für ihre Konzerte alle fünf Kontinente. Ageet Zweistra unterrichtet im Programm Formation Supérieure d‘Abbaye aux Dames in Saintes (Frankreich), das Musikern ein Aufbaustudium für klassisches und romantisches Repertoire auf Instrumenten der jeweiligen Epoche anbietet. Ihre Leidenschaft gehört der Kammermusik: Sie war Mitglied des Turner Quartetts und seit 2007 spielt sie beim Edding Quartett, das sich vor allem den Streichquartetten von Haydn, Mozart, Beethoven und Brahms auf historischen Instrumenten widmet.

Lorenzo Feder

stammt aus Schio in Norditalien. Mit 8 Jahren begann er das Klavierspiel bei Renato Maioli. Nach seinem Diplom im Jahr 2000 studierte er Cembalo bei Patrizia Marisaldi am Konservatorium von Vicenza. Studien am Konservatorium von Den Haag schlossen sich an: dort waren Ton Koopman, Tini Mathot und Patrick Ayrton seine Lehrer. Lorenzo Feder tritt als Solist und Continuospieler mit Cembalo und Orgel bei den internationalen Musikfestivals Europas auf, außerdem in Mexiko und China. Zu seinen musikalischen Partnern gehören die Sänger Emma Kirkby, Peter Kooij und Michael Chance und die Geigerin Monica Huggett. Zudem arbeitet er mit Barockensembles wie Sette Voci, I Musicali Affetti, Il Tempio Armonico und dem Venice Baroque Orchestra. Mit ihnen hat er zahlreiche CDs produziert und bei diversen Hörfunk- und Fernsehaufzeichnungen mitgewirkt. Im Sommer 2011 lehrte er Generalbass beim Bach Festival in Świdnica, Polen.

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Doris Blaich