Musikstück der Woche mit Petra Müllerjans und Kristian Bezuitenhout

Johann Sebastian Bach: Sonate für Violine und Cembalo Nr. 1 h-Moll BWV 1014

Stand
AUTOR/IN
Felix Werthschulte

Musizieren auf Augenhöhe | Musikstück der Woche vom 31.07.2017

Er sei der "Fürst aller Clavier- und Orgelspieler", hieß es bereits zu seinen Lebzeiten. Doch Johann Sebastian Bach war nicht nur an den Tasten, sondern auch auf der Geige ein sehr talentierter Musiker. Dass er beide Instrumente schätzte und sich mit ihnen auskannte, merkt man an seinen meisterhaften sechs Sonaten für Violine und Cembalo. Petra Müllejans und Kristian Bezuidenhout spielen die erste Sonate in h-Moll BWV 1014 in einem Mitschnitt vom 20. April 2008 aus der Wallfahrtskirche Mariae Krönung in Oberried.

Umgedreht 

Bach hatte eine besondere Beziehung zur Violine, immerhin verdankte er ihr seine erste Stelle überhaupt. Nachdem ihm sein Vater schon in Kindertagen beigebracht hatte, wie man einen Bogen hält und die Saiten zum Klingen bringt, begann Bach seine Musikerkarriere kurz vor seinem 18. Geburtstag am Violinist am Weimarer Hof. Und als er 1717 die die Leitung der Hofkapelle in Köthen übernahm, spielte er auch dort wieder die erste Geige. Bald darauf hatte Bach vermutlich die Idee, einen ganzen Zyklus für Violine und Cembalo zu schreiben. "Umgedreht: für Cembalo und Violine", würde er wohl selbst betonen. Üblich war es damals, dass das Streichinstrument dominierte, während das Cembalo vor allem für die harmonische Unterfütterung zuständig war. Doch aus seiner Erfahrung mit beiden Instrumenten wollte Bach keinesfalls diesem Standard entsprechen.

Wie anders, ja fast revolutionär seine Violinsonaten gedacht sind, zeigt schon der Beginn des einleitenden Adagios: Nachdem die Basstöne des Cembaloparts emporgestiegen sind, sinkt die Melodie in der rechten Hand des Cembalisten herab; beide Stimmen vermischen sich zu einem melancholischen, wunderschön schlichten Gesang. Die Geige pausiert, erst nach wenigen Takten mischt sie sich ein. Doch das keineswegs bestimmend – eher so, als würde sie das bisher Erklungene verständnisvoll kommentieren. Mit Kaskaden aus Doppelgriffen imitiert sie später sogar das, was eigentlich dem Tasteninstrument vorbehalten war: Harmonie.

Filigran und gleichzeitig stabil

Die Idee des Musizierens auf Augenhöhe zieht sich auch durch die drei restlichen Sätze. Das sich anschließende Allegro ist ein meisterhaftes Beispiel, wie filigran und – dank des unbeirrt fortschreitenden Basslaufs – gleichzeitig stabil Bachs Musik sein kann. Das imitierende Wechselspiel zwischen Geigenklang und der rechten Hand des Cembalisten bestimmt den dritten Satz in gelöstem D-Dur, wobei die musikalisch schönsten Momente entstehen, wenn die perlenden Sechzehntelläufe zusammenfinden. Im schnellen Dreivierteltakt fordert das Finale mit kleinen Notenwerten von beiden Musikern eine besonders intensive Abstimmung. Dank pochender Tonwiederholungen und kreisenden Verzierungen entwickelt sich ein faszinierender Sog, der allerdings nach nur wenigen vorbeirauschenden Minuten auf einem einzigen h zu stehen kommt.

Die "Sei Sounate à Cembalo (con-)certato è Violino Solo" (so der historische Titel) beeinflussten spätere Komponisten wie Mozart oder Beethoven in ihrem Denken über diese Gattung. Die Idee Bachs, das begleitenden Instruments zum gleichberechtigten Partner zu erheben, wirkte sich noch bis ins späte 19. Jahrhundert aus, als Sonaten wie selbstverständlich „für Klavier und Violine“ geschrieben und gedruckt wurden.

Petra Müllejans (Violine)

Die Geigerin Petra Müllejans ist eine vielseitige Musikerin, die nahezu jede Art von Musik liebt und mit Leidenschaft spielt. Am liebsten tut sie dies in einem vertrauten Umfeld mit ihr auch persönlich nahestehenden, musikalischen Partnern. Seit vielen Jahren ist sie Mitglied und Gesellschafterin im Freiburger Barockorchester (FBO), das sie als Konzertmeisterin leitet und mit dem sie auch als Solistin regelmäßig auftritt. Außerdem gehört sie zum festen Stamm des Freiburger BarockConsort, der Kammermusikformation des FBO, die sich auf solistisch besetzte Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts spezialisiert hat.

Petra Müllejans’ Zugang zur Musik des Barock und der Klassik ist geprägt von der ständigen Suche nach einer erzählenden Musizierweise, die sich für sie am besten in der von ihr geliebten Arbeit im Orchester, der Zusammenarbeit mit Hille Perl und Lee Santana im Ensemble The age of passions und mit ihrer Klezmergruppe Hot and Cool realisieren lässt. Im Laufe ihres musikalischen Lebenswegs ist sie ruhiger und gelassener geworden (worüber sie sehr glücklich ist), sie ist eine leidenschaftliche Lehrerin, der die Arbeit mit ihren Studenten am Herzen liegt.

Petra Müllejans ist Professorin für Barockvioline an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und unterrichtet außerdem an der Hochschule Luzern.

Kristian Bezuidenhout (Cembalo)

Kristian Bezuidenhout (Foto: Pressestelle, Marco Borggreve)
Kristian Bezuidenhout

Kristian Bezuidenhout wurde 1979 in Südafrika geboren. Er begann sein Studium in Australien, beendete es an der Eastman School of Music in den USA und lebt nun in London. International bekannt wurde er mit 21 Jahren, als er den ersten Preis und den Publikumspreis beim renommierten internationalen Fortepiano-Wettbewerb in Brügge gewann.

Kristian Bezuidenhout ist regelmäßig zu Gast bei den führenden Orchestern der Welt, u.a. bei Les Arts Florissants, dem Freiburger Barockorchester, dem Orchestra of the Age of Enlightenment, dem Orchestre des Champs-Élysées, dem Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam, dem Chicago Symphony Orchestra und dem Gewandhausorchester Leipzig. Er leitete vom Klavier aus Ensembles wie The English Concert, Tafelmusik, Collegium Vocale Gent, Juilliard 415, die Kammerakademie Potsdam und das niederländische Orchester des 18. Jahrhunderts.

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Felix Werthschulte