Peter Tschaikowsky: Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 "Pathétique"

Pathétique

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AUTOR/IN
Doris Blaich

Musikstück der Woche vom 26.12.2016

Taschentücher raus - die Pathétique! Eivind Aadland dirigierte das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, ein Konzert vom 19.06.2016 im Konzerthaus Freiburg.

Tschaikowskys musikalisches Testament

"Ich habe übergroße Lust, eine grandiose Sinfonie zu schreiben, die den Schlussstein meines Schaffens bilden soll", schreibt Tschaikowsky 1890 in einem Brief an den Großfürsten Konstantin. Erst drei Jahre später komponiert er mit der "Pathétique" diesen Schlussstein - in rasendem Tempo: den ersten Satz konzipiert er in sechs Februar-Tagen, die anderen drei folgen zügig nach. Zwischendurch: eine Reise nach Cambridge, wo er die Ehrendoktor-Würde in Empfang nimmt. Bei der Arbeit an der Instrumentation überfallen ihn Selbstzweifel: "Je weiter ich komme", klagt er gegenüber seinem Neffen Modest, "desto mehr Schwierigkeiten habe ich. Vor 20 Jahren habe ich das mit höchster Geschwindigkeit hinter mich gebracht, ohne irgendetwas dabei zu denken. Nun bin ich ängstlich geworden, mir meiner Sache nicht mehr sicher." Am 12. August ist die Partitur fertig, Tschaikowsky selbst sagt über das Werk: "Ich liebe es, wie ich nie zuvor eines meiner musikalischen Produkte geliebt habe".

Erfolgreich, aber unglücklich

Tschaikowsky ist damals 52 Jahre alt, erfolgreich wie kaum ein anderer Komponist, aber dennoch weit entfernt von einem unbeschwerten Leben: Sein Außenseiter-Dasein als Homosexueller macht ihm immer wieder zu schaffen, Schmähungen und Drohbriefe sind an der Tagesordnung, und sein ohnehin labiler Seelenzustand verfinstert sich immer wieder besorgniserregend. Er selbst dirigiert die Uraufführung seiner Sechsten am 28. Oktober 1893 in St. Petersburg und ist geknickt, weil das Publikum die Sinfonie verhalten bis skeptisch aufnimmt.

10 Tage nach der Uraufführung stirbt Tschaikowsky an der Cholera, nachdem er in einem Restaurant ein Glas unabgekochtes Wasser getrunken hat - ob als "Russisch Roulette"-ähnliches Spiel mit dem Schicksal, als gezielter Selbstmordversuch oder schlicht aus Übermut, wird wohl niemals geklärt werden.

Die Pathétique - ein instrumentales Requiem

Tschaikowsky hat der Sechsten ein Programm gegeben, das ihm aber zu persönlich schien, um es zu veröffentlichen. So kann man nur darüber mutmaßen, welche Geschichte in der Musik steckt (und sie spricht auch für sich, ohne ein konkretes Programm). Mit ihrer Vorliebe für dunkle Farben, den zahlreichen Seufzerfiguren, die fast alle Themen prägen, und vor allem dem unkonventionellen, leise sich verlierenden Schluss steht die Sinfonie unüberhörbar in der Nähe eines instrumentalen Requiems. Diesen Zusammenhang unterstreicht auch das Blechbläser-Zitat aus der Durchführung des ersten Satzes. Es ist eine liturgische Melodie aus dem russisch-orthodoxen Stundengebet: "Mit den Heiligen lass ruhen, Christus, die Seelen deiner Diener." Den Beinamen "Pathétique" erhielt die Sinfonie erst nach der Uraufführung, mit der Zustimmung von Tschaikowsky selbst.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Foto: SWR, SWR - Marco Borggreve)
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Fortan identifizierte es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer Partituren ebenso gerühmt wurde wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters.

An die 400 Kompositionen hat das Orchester uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-99, dann übernahm Sylvain Cambreling, ab Herbst 2011 François-Xavier Roth. Im September 2016 wurde das Orchester mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zusammengeschlossen zum SWR Symphonieorchester.

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Doris Blaich