Musikstück der Woche vom 28.08.2016

"Orden sind mir wurscht, nur haben möchte ich sie."

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AUTOR/IN
Katharina Höhne

Johannes Brahms: Akademische Festouvertüre c-Moll, op. 80

Er ließ sich nie in die Noten gucken, vernichtete jedes Blatt, das 'unvollendet' war und  führte kein Gespräch, ohne es mit reichlich Ironie auszustatten. Wie jeder Mensch pflegte auch Johannes Brahms gewisse Spleens, also Macken und Ticks, die sein Umfeld zwar oft in den Wahnsinn trieben, ihn aber zu dem Genie machten, das er war.

Als der Komponist mit 46 Jahren zum Ehrendoktor der Philosophie in Breslau ernannt wurde, schrieb er eine Ouvertüre, die das junge Studentenleben feiert. Im September 2015 spielte die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter dem spanischen Dirigenten Pablo Gonzáles diese Akademische Festouvertüre c-Moll op. 80 in der Rheingoldhalle in Mainz.

Brahms' Koketterie

Der Komponist Johannes Brahms (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - DB dpa)
Der Komponist Johannes Brahms

Im März 1879 wurde Johannes Brahms von der Universität Breslau zum Ehrendoktor der Philosophie ernannt. Doch weder in ihm selbst noch bei den meisten seiner Zeitgenossen sorgte diese Nachricht für Euphorie. Im Gegenteil. Gerade seine Kritiker fragten sich, für welche wissenschaftliche Leistung er diese Würdigung verdient hatte. Denn es war allgemeiner Konsens, dass wenn es um das Sprechen oder Schreiben über Musik ging, sich der gebürtige Hamburger ausschwieg. Brahms war kein Exzentriker, so wie die meisten Musiker oder Komponisten seiner Zeit. Was er dachte und fühlte, behielt er meist für sich bzw. überdeckte es mit Humor. Sobald ihm jemand zu nah kam, stieß er ihn weg oder neutralisierte die Situation mit Ironie. 

In der Doktorurkunde hieß es, Brahms sei "der erste jetzt lebende Meister deutscher Tonkunst strengeren Stils". Die Universität ehrte ihn also für sein kompositorisches Schaffen, da er bereits zu Lebzeiten als einer der bedeutendsten Tonschöpfer des 19. Jahrhunderts galt und regen Kontakt nach Breslau pflegte. Obwohl sich Brahms wie jeder andere Musiker nach Anerkennung sehnte und sich über die Ehrung freute, fiel seine Reaktion auf den institutionellen Ritterschlag sparsam aus: er sandte eine schlichte Postkarte mit Grußwort nach Breslau.

Brahms hatte übrigens kurz zuvor von der  Universität von Cambridge einen Doktortitel angeboten bekommen, den er jedoch ablehnte. Angeblich seien ihm die Umstände der Verleihung zu umständlich gewesen. Eine Reise nach England sei nichts als eine Zeitverschwendung, soll er gesagt haben. Andere Quellen behaupten, dass er aufgrund mangelnder Englischkenntnisse Angst hatte, in Großbritannien bloßgestellt zu werden. Die genauen Gründe bleiben aber bis heute Spekulation.

Gegenüber der Universität von Breslau verhielt sich Brahms von Anfang an anders, auch wenn es die akademischen Mitarbeiter verunsicherte, als kurz nach der frohen Botschaft nur eine Postkarte bei ihnen eintraf. Sie hatten als Dank mit einem Werk gerechnet. Dies entstand mit der Akademischen Festouvertüre aber erst über ein Jahr später und auch nur, weil Bernhard Scholz, Dirigent und Leiter des Breslauer Orchestervereins, seinem Freund Brahms in einem Brief den sprichwörtlichen Tritt in den Hintern verpasste: "Willst Du uns nicht eine Doktor-Symphonie für Breslau schreiben? Einen feierlichen Gesang erwarten wir mindestens". Brahms schrieb sie im Sommerurlaub in Bad Ischl.

Brahms' Ironie

Normalerweise soll der Titel eines Stücks – egal ob es sich dabei um Musik, Kunst oder Literatur handelt – Erwartungen wecken. Brahms dagegen nutzte ihn, um sein Publikum und damit die gestandenen Professoren und Mitarbeiter der Breslauer Universität in die Irre zu führen. Während sie davon ausgingen, dass sich hinter ihm ein ernsthaftes und feierliches Werk versteckte, bekamen sie bei der Uraufführung am 4. Januar 1881 eine leidenschaftliche Hommage an das wilde Studentenleben zu hören – mit allen Höhen und Tiefen. Dafür griff Brahms auf Studentenlieder wie "Wir hatten gebaut ein stattliches Haus" zurück, das 1819 im Zuge der Auflösung der Jenaer Burschenschaft entstanden war, oder das bis heute in verschiedenen Sprachen gesungene "Gau deamus igitur". Doch anstatt die z.T. weltberühmten Lieder einfach nur zu zitieren, integriert er sie auf meisterliche Art in seiner Musik und bedankte sich schlussendlich doch noch mit einem fulminanten Finale. 

Dazu koppelte er die Uraufführung mit der Premiere seiner Tragischen Ouvertüre d-Moll op. 81. An ihr hatte er lange vor seiner der Ernennung zum Ehrendoktor gearbeitet und die Verleihung als Anlass genommen, sie zu vollenden. Während die eine lacht, weint die andere, hielt Brahms später fest und zeigte damit, dass sein Charakter eben mehr als nur eine Seite hat. 

Pablo González (Dirigent)

1975 in Oviedo (Spanien) geboren, studierte Pablo González in seiner Heimatstadt Querflöte. Später widmete er sich dem Dirigieren und beendete seine Ausbildung an der Guildhall School of Music and Drama in London. In Großbritannien feierte er sein Debüt und leitete zunächst kleine Ensembles wie die BBC Singers oder das Bach-Collegium Orchestra. Doch bald ging es als Assistent von Sir Colin Davis zum London Symphony Orchestra, mit dem er an der Aufnahme von Hector Berlioz "Die Trojaner" arbeitete, die zwei "Grammy Awards" gewann. 

Als Preisträger zahlreicher Wettbewerbe, wie dem "First National Competition for Young Conductors" in Granada, Spanien oder dem 1.Preis beim "8th Cadaqués Orchestra International Conducting Competition", gehört Pablo González heute zu den gefragtesten Dirigenten weltweit. Neben allen wichtigen spanischen Orchestern, steht er als Gastdirigent hinter dem Pult renommierter Orchester wie dem BBC Philharmonic Orchestra, dem Gürzenich-Orchester Köln oder der Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo. Darüber hinaus arbeitet er mit Stars der internationalen Klassik-Szene zusammen wie Anne-Sophie Mutter oder Maxim Vengerov. Seine besondere musikalische Liebe gilt vor allem der Oper.   

Die Deutsche Radio Philharmonie

Ein Gruppenbild der Musiker der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (Foto: Pressestelle, Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern)
Die Musiker der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern

Die Deutsche Radio Philharmonie entstand 2007 aus der Fusion der beiden traditionsreichen ARD-Klangkörper, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (SR) und dem Rundfunkorchester Kaiserslautern (SWR). Sie hat in kürzester Zeit ein eigenes Profil gewonnen und sich seinen Platz unter den renommierten deutschen Rundfunkorchestern erspielt. Programmschwerpunkte bilden neben dem Vokalbereich das klassisch-romantische Repertoire sowie die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Auftragskompositionen erweitern das Repertoire. Chefdirigent ist seit der Spielzeit 2011/12 der Brite Karel Mark Chichon.

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Katharina Höhne