Musikstück der Woche vom 04.07.2016

Und lieblich grüßt das Streichquartett

Stand
AUTOR/IN
Carolin Krahn

Franz Schubert: Streichquartett Nr. 2 C-Dur D 32

Lange bevor Castingshows für "Superstars" erfunden wurden, gab es schon waschechte musikalische Hochbegabungen. Wie Blumen müssen sie frühzeitig gepflegt werden, damit sie nicht verkümmern. Auch Franz Schubert war eines jener Kinder, die außergewöhnlich stark auf Musik reagierten und ihre Talente durch viele Jahre gezielter Förderung schließlich bis zu größter Professionalität entwickeln konnten. Ein früher Mosaikstein auf Schuberts Lebensweg ist das Streichquartett Nr. 2 in C-Dur D32; er hatte es im Alter von gerade einmal 15 Jahren komponiert. Das Quatuor Diotima spielte es am 22.11.2015 im Festspielhaus Baden-Baden.

Musik statt Paukerei

Der Komponist Franz Schubert (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Der Komponist Franz Schubert

Als Sohn eines Lehrers und einer Köchin im Wiener Vorort Himmelpfortgrund aufgewachsen, bekam der kleine Schubert schon mit fünf Jahren Geigenunterricht von seinem Vater. In der bildungsbewussten Familie wurde jeden Sonntag Streichquartett gespielt. Wenn die Cello-Stimme des ehrgeizigen Vaters dabei auch von fragwürdiger Qualität gewesen sein soll, blieb die Kindheit von Franz Schubert doch in Musik getaucht. Bald kamen noch Klavier- und Orgelstunden hinzu, später erhielt Schubert dann eine Zeit lang Kompositionsunterricht bei Antonio Salieri. Weil der Junge auch noch schön singen konnte, schickten ihn seine Eltern mit elf Jahren zu den Hofsängerknaben in Wien. Dort konnte sich die Musikalität ihres Kindes noch besser entfalten.

Fünf Jahre lang, bis zum Stimmbruch, ermöglichte Schubert die Zeit bei den Sängerknaben eine oft schweißtreibende, aber auch weiterführende Begegnung mit vielen Facetten von Musik auf höchstem Niveau. Jahrelang sang Schubert in wöchentlichen Gottesdiensten der Hofkapelle, bei Festen der Habsburger und in Opernaufführungen. Nebenbei schloss er Freundschaften, die ein ganzes Leben hielten.

Natürlich musste Schubert wie alle anderen auch die Schulbank drücken; in Latein und Mathe war er übrigens grottenschlecht. Statt deshalb aber wie verrückt für bessere Noten zu pauken, blieb der Fokus unverändert auf der Musik. Schubert konnte sie wie ein Schwamm aufsaugen, denn bei den Hofsängerknaben gab es neben dem öffentlichen Auftrittsprogramm jeden Abend Ouvertüren und eine große Sinfonie zu hören. So war Schubert schon als junger Mensch mit allen gängigen Stücken von Haydn, Mozart und Beethoven vertraut. Opern, Kammermusikabende und Symphoniekonzerte erlebte er mitunter an sieben Tagen die Woche. Unter solchen Umständen entstand Schuberts zweites Streichquartett. Wer soll da noch Zeit für Vokabeln haben?

Turbulenz und Anmut

Schubert wurde nur 31 Jahre alt. In diesem kurzen, turbulenten Leben voller Musik, Krankheit, Selbstzweifel und Finanzkrisen schrieb er nicht nur mehr als 600 Lieder, Opern, Schauspielmusiken und Chöre, sondern er vollendete auch sechs Messen, sieben Symphonien und 15 Streichquartette. Unter den Kompositionen für Streichquartett sind die letzten drei am berühmtesten, wobei die "Königsdisziplin Streichquartett" Schubert schon als Kind beschäftigt hatte: Während andere Mathe büffelten, komponierte Schubert im September und Oktober 1812 sein zweites Streichquartett in C-Dur mit vier Sätzen: Presto, Andante, Menuetto (Allegro), Allegro con spirito. Die Rollenverteilung zwischen melodiösen Oberstimmen und Bassfundament – mal extrovertiert vibrierend, dann gedämpft innehaltend – ist weitgehend traditionsverhaftet. Zugleich ahnt man hier schon Schuberts speziellen Tonfall.

Neben aufbrausenden Läufen im Tutti schimmern durch die tänzelnden Violinen des Eröffnungssatzes immer wieder filigrane Wendungen. Daraufhin schreitet das Quartett im zweiten Satz mit würdevollem Gestus in dunklerer Färbung voran. Der besonders liebliche Trio-Teil des folgenden Menuetts enthält immer wieder kleine Walzer-Tupfer, welche den zupackenden Tonwiederholungen im Menuett einen süßlichen Kontrast entgegenstellen. Im Finalsatz verbindet Schubert nicht nur die Lebendigkeit und Besonnenheit vorausgehender Passagen miteinander, er steigert auch die Komplexität der Musik beachtlich: Die vier Stimmen des Quartetts werden in ständig wechselnden Untergruppen präsentiert; pointierte Staccato-Sprünge wandern nun parallel zu unablässigen Läufen durch sämtliche Stimmen. Bevor sich die Musik jedoch in dieser Dynamik festrennt, baut Schubert sogar eine musikalische Bremse aus Synkopen ein. Am Ende steht eine knackige Coda, deren feine Melodik die vorherigen Turbulenzen mit Anmut beschließt.

Was heute so beseelt in unseren Ohren singt, markiert die Frühphase eines Komponistenlebens voller mühseliger Arbeit mit wenig Anerkennung für Schuberts künstlerische Höchstleistungen. Die meisten Zeitgenossen ahnten kaum, wer da unter ihnen lebte. Viele von Schuberts Kompositionen wurden zu seinen Lebzeiten nie oder nur in privatem Kreis aufgeführt. Dass seine Musik schließlich dennoch weltberühmt werden konnte, ist einem berühmten Wahl-Wiener zu verdanken: Johannes Brahms sorgte Jahrzehnte nach dem Ableben seines früh verstorbenen Kollegen für die umfassende Veröffentlichung von Schuberts Werken im Rahmen einer Gesamtausgabe. Damit legte er den Grundstein dafür, dass Schuberts Musik verbreitet werden konnte. So ist doch noch was aus dem Jungen mit den schlechten Mathenoten geworden.

Quatuor Diotima

Das Quatuor Diotima formierte sich vor 20 Jahren am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris, und der Name des Streichquartetts ist Programm: "Diotima" spielt nicht allein auf die Deutsche Romantik an, sondern auch auf Luigi Nonos Fragmente – Stille, an Diotima. Dies übertrug sich auf das musikalische Profil des Ensembles. Neben Kammermusik des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem Beethovens späte Streichquartette sowie die frühen von Schubert, Brahms oder Bartók, spielt das Quatuor Diotima besonders gern zeitgenössische Musik. Ob George Crumb, Helmut Lachenmann, Brian Ferneyhough, Beat Furrer, Toshio Hosokawa, Tristan Murail, Alberto Posada oder Steve Reich: sie nehmen es mit allen auf.

Für seine vielseitigen CD-Einspielungen wurde das Quatuor Diotima bereits fünf Mal mit dem renommierten "Diapason d'or" ausgezeichnet und ist längst auf allen wichtigen Bühnen der Welt in Europa, Asien, den USA und Südamerika präsent. Von 2012 bis 2016 war das Quartett "artist in residence" am Théâtre des Bouffes du Nord in Paris. Zuletzt erschien beim Label Naïve eine Aufnahme sämtlicher Streichquartett-Kompositionen der Zweiten Wiener Schule aus Anlass des 20-jährigen Quartett-Jubiläums.

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Carolin Krahn