Musikstück der Woche vom 25.04.2016

Ganz schön "chaotisirt"

Stand
AUTOR/IN
Carolin Krahn

Robert Schumann: Drei Fantasiestücke für Violoncello und Klavier op. 73

Robert Schumann war lange krank, oft verzweifelt und starb früh. Ein Glück, dass er sich trotz aller Turbulenzen in seinem Leben immer wieder getraut hat, seine reichen künstlerischen Gedanken mit kraftvoller Empfindsamkeit in Töne und Worte zu fassen. Wie zum Beispiel in den Drei Fantasiestücken für Violoncello und Klavier op. 73 aus dem Jahr 1849. Der Cellist Julian Steckel hat sich diesen kleinen Kostbarkeiten gemeinsam mit seinem Duo-Partner Paul Rivinius am Klavier angenommen: in einem Konzert am 21. März 2012 in Schloß Waldthausen.

Fantasie am laufenden Band

Im Jahr 1800 veröffentlichte Friedrich Schlegel sein "Gespräch über die Poesie". Dort heißt es: "Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Fantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen […]." Fantasie war Schlegel mehr als bloß die Kompensation von Wirklichkeit: Sie "chaotisirt" den Verstand, wie er es nannte, den langweiligen Ballast schnöder Regelhaftigkeit, und ebnet damit die Bahn für sich ungezügelt entfaltende Poesie. Der Vorhang war gelüftet für die Romantik, längst auch in der Musik.

Der Komponist Robert Schumann (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Der Komponist Robert Schumann

Robert Schumann konnte es an guten wie an trüben Tagen vor Poesie manchmal kaum aushalten. Er musste sich dann oft ans Klavier setzen, komponieren oder Texte über Musik schreiben. Die dabei mitschwingende Wahrhaftigkeit setzte der betulichen Müffeligkeit biedermeierlicher Wohnzimmerklischees den kompromisslosen Glauben an die Macht großer Kunst entgegen. Dies waren keine Wolkenkuckucksheime eines weltfremden Tagträumers; seine Prinzipien stellten den Komponisten in der Praxis tagtäglich vor schwierige Herausforderungen, denen er voller Ernsthaftigkeit begegnete: bloß nichts Eingefahrenes schreiben, kein mechanisches Regelwerk abspulen, niemals Musik, "wie man das halt so macht". Das wäre das Ende echter Kunst. Eigentlich ging es dem Mann, der 1833 der intellektuellen Kleinkariertheit mit seinen Davidsbündlern offiziell den Kampf ansagte, dauernd um Neues. Musik für heute und morgen; Musik für Anti-Spießer. Sie konnte für Schumann nur aus jener Grundstimmung entstehen, deren Wirkung er in der Neuen Zeitschrift für Musik in Bezug auf Hector Berlioz’ Symphonie fantastique so beschrieben hatte: "[…] je phantastischer oder schärfer der Musiker überhaupt auffaßt, um so mehr wird sein Werk erheben oder ergreifen."

Musica poetica – jetzt erst recht

Poesie war für Schumanns Musik selbst dann unverzichtbar, wenn sie in gröbstem Kontrast zu äußeren Bedingungen stand. Vielleicht sogar gerade dann, um den Verstörungen der Welt etwas von großer Innerlichkeit entgegenzusetzen. Vor solchen Hintergründen entstanden auch die Fantasiestücke op. 73 im Februar 1849. Privat war dies eine glückliche Zeit für die Schumanns: die Finanzlage war gut, die Gesundheit des Komponisten stabil – und Europa brodelte im Zeichen des Revolutionsjahres. Als die Maiaufstände kurz bevorstanden, wohnte die Musikerfamilie in Dresden. Erst als die Umstände unerträglich wurden, zogen sie hinaus in die Sächsische Schweiz. Mitten im anarchischen Europa erlebte Robert Schumann eines seiner künstlerisch produktivsten Jahre.

Die Fantasiestücke hießen ursprünglich "Soiréestücke", komponiert für Klarinette und Klavier. Der Verleger der Erstausgabe entschied sich nicht nur für den bis heute verwendeten Titel, er druckte auch noch "ad libit. Violine od. Violoncell" dazu und legte der Erstausgabe die Noten für Violine oder Violoncello als Alternativen zur Klarinette bei. Schumann war das recht, und seine drei Stücke gelangten bald zu Beliebtheit. So sehr, dass 1851 zunächst eine vierhändige Klavierversion der Fantasiestücke erschien und 1857 ein weiteres Arrangement für Klavier solo. Die komprimierte Kompositionsform avancierte zum Kassenschlager. Damit hatte eine moderne Kunstauffassung abseits strenger Sonatenformen ihren Weg in die bürgerlichen Häuser gemacht.

Stimmungsbilder von zunehmender Intensität

In drei Teilen zaubern die Fantasiestücke Stimmungsbilder von stets zunehmender Intensität. Zwischen a-Moll und A-Dur changierend, werden sie immer bewegter und zupackender: (1) zart und mit Ausdruck, (2) lebhaft, leicht, (3) rasch und mit Feuer. Es scheint, als habe Schumann eine pausenlose Klangfantasie im Sinn gehabt, die sich aus einem kleinen Tonschritt nach unten und einem lockeren Sprung nach oben im Fortlauf der Musik weiter auffächert und verdreht; so lange, bis daraus am Ende eine aufwärtssteigende Tonleiter geworden ist, die von kleinen rhythmischen Figuren abwärts konterkariert wird. Die Fantasiestücke sind dabei in ein großes, luftiges Ganzes gefasst, indem Schumann an den Übergängen ganz einfach "attacca" notierte. Aus alledem spricht sein Mut zur freien Entfaltung der Klanglichkeit, der noch jeden Formbürokraten aus dem Konzept bringen dürfte. Was für eine schöne "Chaotisirung"!

Julian Steckel (Violoncello)

Jahrgang 1982, Student in den Klassen von Boris Pergamenschikow und Heinrich Schiff, Wahl-Berliner, Kammermusiker, Professor an der HMT Rostock, Cellist seit dem Alter von fünf Jahren, Preisregen-Künstler beim ARD Musikwettbewerb 2010, ECHO Klassik-Besitzer seit 2012, Bach-Liebhaber, "Artist in residence" bei den Heidelberger Philharmonikern 2016 und dauernder Festival-Gast: Julian Steckel ist all das in Einem.

Symphonisches spielt er zum Beispiel mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, den Sinfonieorchestern des NDR, SWR, Kopenhagen und Warschau, dem Royal Philharmonic Orchestra London oder den Sankt Petersburger Philharmonikern. In Kammerformation musiziert er regelmäßig mit Janine Jansen, Christian Tetzlaff oder Menahem Pressler, den Quartetten Armida, Ébène und Modigliani. Gerade ist Julian Steckels Gesamteinspielung der Cellokonzerte von C.P.E. Bach mit dem Stuttgarter Kammerorchester erschienen, und nebenbei hat er das Cellokonzert von Anno Schreier uraufgeführt. Das auch noch: mit Paul Rivinius spielt er sehr erfolgreich im Duo.

Paul Rivinius (Klavier)

Lange unterrichtete Paul Rivinius als Professor für Kammermusik an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin, bis es ihn zurück nach München zog – ein roter Faden seiner Biographie. Geboren 1970, entdeckte Paul Rivinius sein Instrument mit fünf Jahren. Dann folgte ein umfassendes Klavierstudium in München und Saarbrücken, zwischendurch studierte er außerdem noch Horn an der Frankfurter Musikhochschule, spielte im Bundesjugendorchester sowie im Gustav Mahler Jugendorchester. Schließlich zog es ihn in die Meisterklasse von Gerhard Oppitz (und damit wieder einmal nach München).

Bei all diesen Stationen ist die Kammermusik Paul Rivinius’ Sache geblieben. Schon 1986 kam das Debüt mit dem Clemente Trio, 1998 der Gewinn des ARD-Musikwettbewerb; in diesem Jahr feiert das Ensemble sein 30-jähriges Bühnenjubiläum. Daneben bildet Paul Rivinius gemeinsam mit seinen drei Brüdern bis heute das Rivinius Klavierquartett. Seit 2004 ist er außerdem Mitglied des Mozart Piano Quartet. Parallel entstanden zahlreiche Rundfunk- und CD- Produktionen – neben den Aufnahmen mit Julian Steckel zum Beispiel auch solche mit den Cellisten Maximilian Hornung und Johannes Moser. P.S.: Paul Rivinius lebt noch immer in München.

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Carolin Krahn