Musikstück der Woche mit François-Xavier Roth

Ludwig van Beethoven: Coriolan-Ouvertüre

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AUTOR/IN
Doris Blaich

Wie klingt das Scheitern? Beethoven führt es uns in seiner "Coriolan"-Ouvertüre vor. Er zieht dabei alle Register des musikalisch Geheimnisvollen, Aufgewühlten, Zerbrechlichen und schreibt eine radikal ausdrucksstarke Musik. Unser Live-Mitschnitt vom Februar 2014 stammt aus dem Konzerthaus Freiburg, François-Xavier Roth dirigiert das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.

Kalkül oder Gefühl?

"Ich hasse jedes Menschenantlitz, bin mir selbst ein Rätsel", gesteht der Feldherr Coriolan in Heinrich von Collins Trauerspiel. Der erfolgsverwöhnte römische Krieger fühlt sich von seinem Volk gekränkt und verbündet sich mit den Feinden Roms. An ihrer Spitze will er nun gegen seine Landsleute kämpfen. Doch beim Marsch auf die Heimatstadt befallen ihn Zweifel. Seine Mutter, die als Bittstellerin für Rom auftritt, nötigt ihm schließlich den Frieden ab. Coriolan zerbricht an sich selbst: an seiner Unüberlegtheit und Untreue. Verzweifelt stürzt er sich ins Schwert.

Kern von Collins Drama ist der Konflikt Coriolans zwischen Ethos und subjektiver Unzulänglichkeit, zwischen überlegtem, geradlinigem Handeln und aufbrausender Emotion – ein Stoff wie geschaffen für Beethoven! Als er 1807 die Arbeit an der Ouvertüre begann, war Collins Theaterstück (fünf Jahre zuvor uraufgeführt) allerdings längst von den Spielplänen Wiens verschwunden. Und Beethoven konnte nicht damit rechnen, dass seine Ouvertüre jemals als Einleitung für das Drama gespielt würde.

Coriolan-Ouvertüre ohne Coriolan

Der deutsche Komponist Ludwig van Beethoven (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Ludwig van Beethoven

Er schrieb zwar auf das Titelblatt der Ouvertüre "zum Trauerspiel Coriolan". Aber noch bevor er den Stift weggelegt hatte, überlegte er es sich anders: Er strich diese Angabe wieder und verwischte dabei die noch feuchte Tinte. Jetzt lautete der Titel nur noch "ouvertura Composta da L. van Beethoven". Dies mag ein Hinweis darauf sein, dass für ihn eine Aufführung auch ohne Bindung an das Theaterstück denkbar war. Denn der Konflikt, dem Coriolan im Drama ausgesetzt ist, ist bei Beethoven ein musikalischer Konflikt. Nicht einmal die Kenntnis des Textes ist für das Verständnis der Musik zwingend.

Die Tonart verrät, was folgt

Die Musik erzählt die Geschichte nämlich mit den ihr eigenen Mitteln: Die düstere Tonart c-Moll, traditionell für Unterwelt, Unheil, Klage und Beschwörung eingesetzt – also für alles, was dem Vernunftmenschen nicht ganz geheuer ist –, weist bereits auf die tragische Situation hin. Die herrischen Gesten der ersten Takte, in denen lange Streicherakkorde drei Mal von einem jäh auffahrenden Orchestertutti abgerissen werden, rufen eine unheimliche, bedrohliche Atmosphäre hervor.

Daran schließt sich ein rastloses Thema an, vorwärtsdrängend und immer wieder abrupt abbrechend – ein musikalisches Charakterbild Coriolans: seiner Zielstrebigkeit, die sich so schnell in Zweifel verwandelt, seiner Ruhelosigkeit und seiner Herrschsucht.

Gegen dieses düstere erste Thema wirkt das zweite wie von einem anderen Stern: Weich und gesanglich strömt es dahin; keine jähen Gesten unterbrechen seinen ruhigen Fluss. Hier ist die Gegenwelt zu Coriolans aufbrausendem Wesen in Töne gefasst. Immer wieder haben Interpreten darin den leidenschaftlichen Gesang der Frauen gesehen, die den Krieger zum Frieden ermahnen.

Der Konflikt endet – und das ist ungewöhnlich bei Beethoven – nicht mit einer Läuterung oder Apotheose des Helden, sondern mit seinem Scheitern und seinem Entschluss zum Selbstmord. Die Musik fällt in sich zusammen und zerrinnt.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Foto: SWR, SWR - Marco Borggreve)
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Bis heute identifiziert es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters.

An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern.

Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-1999, dann übernahm Sylvain Cambreling. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze.

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Doris Blaich