Musikstück der Woche vom 23.11.2015

Das schönste von allen: das "Allerweltskonzert"

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Max Bruch: Violinkonzert Nr. 1 g-Moll

Eigentlich sollte man meinen, Erfolg mache glücklich. Im Falle von Max Bruch aber tat er das nicht. Sein Erfolg ließ Bruch verzweifeln. Denn geliebt, gespielt und gehört wurden (und wird) nur ein einziges seiner Werke: sein Violinkonzert Nr. 1 g-Moll. Irgendwann wollte der Komponist dessen Aufführung sogar verbieten lassen, um seinen beiden anderen Violinkonzerten eine Chance zu geben. Es half nichts.

Auch im "SWR2 Musikstück der Woche" erklingt das erste Violinkonzert, und zwar mit der jungen Norwegerin Vilde Frang als Solistin. Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von Francois Xavier Roth begleitete sie bei ihrem Konzert am 15.3.2014, mit dem das Internationale Festival "Heidelberger Frühling" eröffnet wurde.

Die Kehrseite des Erfolges

Am 5.11. 1893 verschickte völlig frustriert Max Bruch ein paar selbstverfasste Verse:

Mag dieses Gedicht auch mit einem halben Augenzwinkern geschrieben worden sein – sein Kern war dem Komponisten doch bitterernst. Denn Max Bruch ärgerte sich über sein erstes Violinkonzert maßlos. Dessen Erfolg verhagelte ihm gewaltig die Karriere. Einfach, weil niemand etwas anderes hören wollte, als ausgerechnet dieses erste Violinkonzert.

An den Verleger Fritz Simrock schrieb Bruch schon 1887, gut 20 Jahre nach Entstehen des Konzerts: "'Ich kann dies Concert nicht mehr hören – habe ich vielleicht bloß dies eine Concert geschrieben? Gehen Sie hin und spielen Sie endlich einmal die andern Concerte, die ebenso gut, wenn nicht besser sind!'" Zum Beispiel sein zweites Violinkonzert.

"Allerwelts-Konzert"

Wer bei Bruch als junger Geiger vorspielen wollte, durfte alles spielen nur nicht jenes erste seiner Violinkonzerte, das wunderschöne g-moll-Konzert, dem sein Erfinder bald den spöttischen Beinamen "Allerwelts-Konzert" gab. Da half es nichts, dass einer der berühmtesten Geiger der Zeit – Joseph Joachim – es das "reichste und bezauberndste Violinkonzert" überhaupt nannte.

Dieses Konzert ist bis heute eines der meistgespielten Werke der Klassik. Es war das erste Instrumentalwerk, das der in Köln geborene Max Bruch geschrieben hatte. Der Vater Polizeipräsident, die Mutter Sängerin, bekam Max von der Mutter ersten Klavierunterricht und begann mit 9 Jahren, eigene Werke zu komponieren.

Bruchs "One-Hit-Wonder"

Als klassisches One-Hit-Wonder brachte dieses Violinkonzert Bruch zwar einen Riesenerfolg, ließ aber sein übriges Schaffen darüber völlig in Vergessenheit geraten. Bis heute kennt man von Max Bruch außer diesem Violinkonzert wenig. Allenfalls seine Schottische Fantasie findet sich ab und zu auf einem Konzertprogramm. Aber kaum je eines seiner weiteren Violinkonzerte oder eines seiner zahlreichen Oratorien.

Sechs Monate vor seinem Tod hoffte Max Bruch – verbittert, verarmt und isoliert – dass ihm sein ungeliebtes Konzert noch einen letzten Dienst erweisen könnte. Er bat seine Schwestern Ottilie und Rose 1920, das Manuskript in den USA zu Geld zu machen. Als dieses Geld nach Bruchs Tod endlich eintraf, machte die Inflation es völlig wertlos. Und von der Partitur verlor sich die Spur. Erst 1968 tauchte sie wieder auf und ist heute in einer New Yorker Bibliothek verwahrt.

Vilde Frang (Violine)

Geboren in Norwegen, studierte Vilde Frang zuerst am Barratt-Due-Musikinstitut in Oslo, später bei Kolja Blacher in Hamburg und bei Ana Chumachenco in München. 1998 folgte sie einer ersten Einladung von Mariss Jansons zu einem Konzert mit dem Oslo Philharmonic Orchestra. Seitdem bereist sie die Welt und ist bei den international wegweisenden Orchestern und Veranstaltern zu Gast.

Als Kammermusikerin spielt Vilde Frang mit Partnern wie Gidon Kremer, Yuri Bashmet, Martha Argerich, Julian Rachlin, Leif Ove Andsnes und Maxim Vengerov. Bei renommierten Musikfestivals wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Rheingau, Lockenhaus, Gstaad, Verbier und Luzern tritt sie regelmäßig auf.
Vilde Frang ist Exklusiv-Künstlerin bei Warner (EMI) und wird für ihre Virtuosität, Musikalität und Ausdruckskraft geschätzt. Sie spielt die "Engleman" Stradivari aus dem Jahr 1709, eine Leihgabe der Nippon Music Foundation.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Bis heute identifiziert es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-1999, dann übernahm Sylvain Cambreling. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze. Mit der Aufführung von Max Bruchs 1. Violinkonzert eröffneten Roth und das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg 2014 das Internationale Festival "Heidelberger Frühling".

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld