Musikstück der Woche vom 16.11.2015

Maurice Ravel: Ma mère l'oye

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Mutter Gans

Dornröschen, eine chinesische Kaiserin und der kleine Däumling treffen sich in dieser Märchensuite von Maurice Ravel. Eigentlich ist es Musik für Kinder, aber – wie immer bei Ravel – gleichzeitig große Kunst für Erwachsene, die in ihrer Finesse, ihrer geschliffenen Präzision und ihrem Reichtum an Klangfarben und Harmonien ihresgleichen sucht. In unserer Live-Aufnahme spielt das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von Maxime Pascal.

Alles eine Frage des Geschmacks ...

In diesem Haus abstauben zu müssen, war bestimmt ein Albtraum: Maurice Ravels Haus, die Villa La Belvédère in Montfort l’Amaury war bis unters Dach vollgestopft mit Überflüssigem. Nippes, Kitsch, Krimskrams, und Staubfänger, wo man nur hinschaute: gotische Aschenbecher, falsches chinesisches Porzellan, eine aufziehbare Nachtigall mit Spielwerk, Muscheln, Blumen, winzige Schiffe.

Der Komponist Maurice Ravel (Foto: IMAGO, Imago - imago stock & people)
Der Komponist Maurice Ravel

Genauso der Garten: Ravel (nur 1,58 m groß) schuf sich hier eine Art künstliches Zwergenparadies mit Bonsais und anderen zurechtdrapierten Miniaturpflänzchen. Die Einrichtung, mit der sich der Komponist umgab, verrät viel über seine Ästhetik: die Lust am Künstlichen, Kindlichen und an der Maskierung findet man auch in Ravels Musik. Aber hier ist sie kombiniert mit einer Prägnanz, Klarheit und Konzentration des Ausdrucks, die souverän alles Überflüssige meidet.

Fünf klingende Märchen

In den Jahren zwischen 1908 und 1910 schrieb Ravel fünf Kinderstücke für Klavier zu vier Händen: "Ma mère l’oye". Einfachheit war bei der Komposition Ravels oberstes Gebot: "Die Absicht, in diesen Stücken die Poesie der Kindheit wachzurufen, hat mich dazu geführt, meine Art zu vereinfachen und meine Schreibweise durchsichtiger zu machen".

Jeder der fünf Sätze hat eine eigene Handlung, die jeweils auf einem Märchen basiert: Dornröschens Pavane, Der kleine Däumling, Laidronette, die Kaiserin der Pagoden, Die Schöne und das Biest sowie (als einziger Satz ohne explizite Handlung) Der Feengarten.

1911 instrumentierte Ravel die "Mutter Gans" für großes Orchester und machte daraus ein Ballett, etwas später entstand daraus eine Suite für den Konzertsaal, in der er die schwarz-weiß-Fassung des Klaviers mit dem wunderbunten Farbkasten des Orchesters koloriert hat.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Foto: SWR, SWR - Marco Borggreve)
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Bis heute identifiziert es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-1999, dann übernahm Sylvain Cambreling. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze. Diese Aufnahme dirigierte Maxime Pascal, kurz nachdem er den "Young Conductors Award" der Salzburger Festspiele 2014 erhalten hatte.

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Doris Blaich