Musikstück der Woche vom 27.4.2015

Der Zeitreisende

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AUTOR/IN
Katharina Höhne

Enrique Granados: El Amor y la Muerte. Ballade für Klavier

Wenn die ersten Töne von "El Amor y la Muerte" verklingen entstehen Bilder einer längst vergangenen Zeit im Kopf. Ihr Komponist, Enrique Granados, konservierte mit ihnen Straßen und Plätze, Menschen und Gefühle einer Stadt, die schon vor über 200 Jahren zu den pulsierendsten in Europa gehörte: Madrid. Beim Jubiläumskonzert "25 Jahre Musik im Jägerhaus Forst" am 12. Oktober 2014 begab sich der englische Pianist Nicolas Rimmer auf einen musikhistorischen Streifzug durch Spaniens Hauptstadt.

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Leben, gedruckt

Als Enrique Granados zum ersten Mal Radierungen von Francesco de Goya in die Hände fielen, wurde er ganz still. Mit welcher Feinheit sein Landsmann das Leben der Spanier auf Papier gebannt hatte, die Atmosphäre, die Menschen, jedes noch so kleine Detail: "I fell in love with the psychology of Goya and his palette… that rosy-whiteness of the cheeks contrasted with lace and jet-black velvet, those jasmine-white hands, the colour of mother-of-pearl have dazzled me…" 

Die Radierungen waren Teil der Reihe "Los Caprichos", die Goya zwischen 1793 und 1799 gedruckt hatte. Bis heute gehören sie zu dessen Schlüsselwerken, weil sie u.a. einen Wendepunkt in Goyas Schaffen symbolisieren. In dem Moment, in dem er das Leben seines Heimatlandes im grafischen Tiefdruckverfahren einfing, verabschiedete er sich aus den öffentlichen Ämtern und versuchte sich als selbstständiger Künstler. Ihn interessierten nicht länger die Repräsentationswünsche seiner Auftraggeber am spanischen Hof sondern die Straßen von Madrid, das einfache Leben, die Probleme, aber auch die z.T. existenzgefährdenden Verhältnisse seiner Mitmenschen. Armut, Prostitution, Liebe – all das brachte er in insgesamt 80 Drucken zu Papier. 

Granados faszinierte Goyas Werk, sodass er kurz darauf den Klavierzyklus "Goyescas" schrieb. Obwohl jedes der sechs Stücke für sich steht, scheinen sie durch einen unsichtbaren Faden miteinander verbunden. Goyaresque und technisch höchst anspruchsvoll erzählen sie von einem Madrid des 18. Jahrhunderts, mal aufbrausend leidenschaftlich, mal lyrisch poesievoll, wie in "El Amor y la Muerte". Aus Goyas gleichnamiger Radierung, in der ein Mann sterbend in den Armen seiner Geliebten liegt, machte Granados ein hörbares Liebesdrama – vom ersten Flirt bis zum letzten Atemzug. Es ist ein sinnliches und expressives Werk, durchzogen von düsterer Melancholie. Nach Granados Urteil vereint es alle Themen des Zyklus‘. Bis zu seinem Lebensende empfand es der Komponist als großes Glück, mit ein wertvolles Werk wie "Goyescas" geschrieben zu haben. Uraufgeführt am 9. März 1911 schaffte Granados damit den Sprung zur internationalen Musikkarriere.

Nicholas Rimmer (Klavier)

Der gebürtige Engländer Nicholas Rimmer hat sich vor allem als Kammermusiker und Liedbegleiter in der Musikwelt etabliert. 1981 in Wigan geboren, entwickelte er früh seine Liebe zur musikalischen Vielseitigkeit. Neben Klavier und Komposition studierte er noch Tonsatz, Dirigieren und Musikwissenschaft.

Seitdem er 2006 den Preis beim Deutschen Musikwettbewerb gewann, spielt und lebt Rimmer in Deutschland. An der Hochschule für Musik und Theater in Hannover setzte er sein Klavierstudium erfolgreich fort. Als Kammermusiker – in verschiedenen Formationen, u.a. mit dem Bratschisten Nils Mönkemeyer und dem von ihm gegründeten Leibniz Trio – gastierte er schon auf zahlreichen internationalen Bühnen. Er spielte u.a. beim Schleswig-Holstein Festival, in der Londoner Wigmore Hall und der Tonhalle Zürich. Mit Tianwa Yang nahm er bereits die kompletten Werke für Violine und Klavier von Wolfgang Rihm auf, für die das Duo bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. Seit 2013 unterrichtet Rimmer Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Frankfurt.

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Katharina Höhne