Musikstück der Woche vom 16.03.2015

Haydn bei der Notenernte belauscht

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AUTOR/IN
Doris Blaich

Joseph Haydn: Streichquartett G-Dur op. 76 Nr. 1

Haydn ist immer für Überraschungen gut. In seinem Quartett G-Dur, das seine späte Sammlung op. 76 eröffnet, spielt er lustvoll mit den Erwartungen der Hörer. In unserem Mitschnitt spielt das englische Dover Quartet. Das Konzert war am 29.06.2014 im Kloster Maulbronn.

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Anti-aging fürs Innenohr

Der Komponist Joseph Haydn (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Der Komponist Joseph Haydn

"Ich hatte das große Vergnügen, Ihre Quartette [op. 76] in einer guten Aufführung zu hören", schrieb der englische Musikhistoriker Charles Burney 1799 an Joseph Haydn. "Nie hat mir Instrumentalmusik größere Freude bereitet. Alle Quartette sind voller Einfallsreichtum, Feuer, gutem Geschmack und neuen Effekten. Und es scheint, als stammten sie nicht von einem erhabenen Genius, der schon so viel und so gute Musik geschrieben hat, sondern von einem Komponisten, der mit den höchsten Talenten gesegnet ist und dessen Feuer noch vollkommen unverbraucht ist." Burneys Erstaunen über die Frische und Unverbrauchtheit dieser Musik ist berechtigt: Haydn war 65, als er die Quartette schrieb, und er hatte seit seinem 18. Lebensjahr praktisch unablässig komponiert. Er selbst klagte im Alter zuweilen über Burnout-Symptome: "Die Welt macht mir zwar viele Komplimente, auch über das Feuer meiner letzten Arbeiten: aber Niemand will mir glauben, mit welcher Mühe und Anstrengung ich dasselbe hervorsuchen muß, in dem mich manchen Tag mein schwaches Gedächtnis und die Nachlassung der Nerven dermaßen zu Boden drückt, daß ich in die traurigste Lage verfalle und hiedurch viele Tage nachher außer Stand bin, nur eine einzige Idee zu finden."

Haydns Notenernte I: 100 Dukaten für 6 Quartette

Haydns Opus 76 enthält sechs Quartette – darunter das "Kaiserquartett" und das "Sonnenaufgangs-Quartett". Sie sind dem Grafen Joseph Erdödy gewidmet, der mit einem Honorar von 100 Dukaten für einige Zeit die Exklusivrechte dafür erwarb. 1799, zwei Jahre nach ihrer Komposition, erschienen sie im Druck. Im Laufe der Jahre wurden über 20 Teil- und Gesamtausgaben nachgedruckt: Die Sammlung wurde zu Haydns Bestseller.

Haydns Notenernte II: Witz + Erfahrung

Musikalisch sind die Werke die Ernte seiner langen Auseinandersetzung mit der Gattung Streichquartett. Wie unter dem Brennglas sind in ihnen die Charakteristika von Haydns Kompositionsweise vereinigt: Einerseits eine dichte kontrapunktische Faktur und satztechnische Tiefe, andererseits die Neigung zu verblüffenden Pointen und Überraschungen. Das Quartett G-Dur, das die Sammlung eröffnet, spielt gleich zu Beginn mit einer unerwarteten Wendung: Von einem Tusch aus drei Akkorden majestätisch eingeleitet, schlägt die Musik einen Haken und windet sich langsam mit einem unscheinbaren Thema von der Basstimme nach oben in die Violinen. Der zweite Satz entspinnt einen Dialog zwischen Geige und Cello und stellt choralartige Abschnitte neben rasche Figurationen. Das Menuett bringt auf humorvolle Weise das Gebäude des Dreivierteltakts ins Wanken. Im Finale zaubert Haydn die größte Überraschung aus dem Hut: Es beginnt mit düsterer Thematik in g-Moll; erst kurz vor Schluss wendet sich das Hauptthema plötzlich nach Dur und erhält dadurch einen vollkommen anderen, heiteren Charakter. Schließlich rast die Musik mit allen Insignien eines triumphalen Schlusses aufs Ende zu – und mündet unverhofft in einer Pause. Eine witzige Coda mit Pizzicato-Begleitung der Unterstimmen findet dann im zweiten Anlauf zum Ziel.

Dover Quartet

"Im Moment DAS junge amerikanische Streichquartett überhaupt" – nicht nur der New Yorker ist seit dem phänomenalen Gewinn der Banff International String Quartet Competition 2013 begeistert vom Dover Quartet, das bei dem Wettbewerb sowohl den Großen Preis als auch alle drei Sonderpreise auf sich verbuchen konnte. Es verwundert daher nicht, dass die vier Ensemblemitglieder in den großen Musikzentren der Welt derzeit zu den gefragtesten jungen Musikern gehören. Technische Brillanz, perfektes Ensemblespiel, ein fein gearbeiteter Ton und interpretatorische Reife gehören zu den Markenzeichen des jungen Quartetts, das zugleich auch das erste Quartet in Residence des renommierten Curtis Institute of Music in Philadelphia ist. Dort haben sich die vier – Joel Link und Bryan Lee (Violine), Milena Pajaro-van de Stadt (Viola) und Camden Shaw (Violoncello) – während des Studiums kennengelernt. Im Mai 2015 spielen Sie ihr Debütkonzert bei den Schwetzinger SWR Festspielen.

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Doris Blaich