Musikstück der Woche vom 3.11.2014

Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Lieben Sie Brahms? Dann haben wir diese Woche das passende Musikstück für Sie: "3. Sinfonie. "Das Herz geht einem dabei auf", sagte Antonín Dvorák über dieses großartige Werk. In unserem Konzertmitschnitt vom Mai 2012 spielt das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Michael Gielen.

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Brahms, der Geheimniskrämer

Der deutsche Komponist Johannes Brahms (Foto um 1889) (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Der deutsche Komponist Johannes Brahms

Über die Entstehung dieser Sinfonie wissen wir buchstäblich nichts. Brahms war ein leidenschaftlicher Briefeschreiber und hat – oft mit viel Humor – seinen Freunden geschrieben, was ihn gerade bewegte. Nicht allerdings, was seine Kompositionen betrifft, da war er geheimniskrämerisch. Über die dritte Sinfonie findet man kein einziges Wort in seinem Briefwechsel. Genauso wenig gibt es kompositorische Skizzen. Das einzige, was wir sicher wissen, ist, wann Brahms die Sinfonie fertiggestellt hat: in den Sommerferien 1883 in Wiesbaden. Brahms war damals 50 Jahre alt und ein bisschen verliebt in eine wesentlich jüngere Frau.

Ein Blick in Brahms’ Komponierwerkstatt

Die Sinfonie beginnt mit einem Täuschungsmanöver. Sie gibt vor, als sei sie unschlüssig, wie sie eigentlich anfangen soll. In Wahrheit ist der Anfang genau geplant: zwei Bläserakkorde, dann, beim dritten Bläserakkord steigen die Streicher mit einem leidenschaftlichen Thema ein.

Die Täuschungstaktik liegt in der Harmonik: Brahms spielt hier mit der Ambivalenz der Tonarten und setzt F-Dur gegen f-Moll. Der erste Akkord ist ein reiner F-Dur-Dreiklang; F-Dur ist die traditionelle Tonart der Idylle, des intakten Landlebens, der Hirtenszenen; Brahms kennt als musikgeschichtlich versierter Komponist diesen Hintergrund. Im zweiten Takt trübt er die Harmonik ein in einen f-Moll-Septakkord – ein krasser Gegensatz zwischen Dur und Moll, zwischen Konsonanz und Dissonanz, zwischen Idyll-Tonart und Schmerzenston (denn f-Moll ist die klassische Tonart der Klage, der Schatten, der Unterwelt).

Mit dem plötzlichen Auftreten von f-Moll legt Brahms also einen Schatten auf die Idylle, entwirft eine finstere Gegenwelt. Der nächste Takt geht wieder in eine andere Tonart, diesmal nach Des – jeder Takt eine vollkommen neue Harmonie! Dieses sich-nicht-festlegen-Wollen, das Changieren zwischen den Tonarten, speziell zwischen Dur und Moll, ist ein Kennzeichen der ganzen Sinfonie. Immer wieder gibt es darin überraschende harmonische Wendungen.

Die Bläserakkorde zu Beginn mögen unscheinbar wirken, fast wie ein Auftakt zum Eigentlichen. Sie sind aber der Kern des ganzen Satzes. Auf der Tonfolge f-as-f baut Brahms alle wichtigen Themen und Motive. In umgekehrter, absteigender Richtung und nach Dur gewendet ist dieser Gedanke das Gerüst für das Streicherthema.

Ein Blick in die Partitur (s. Link auf der rechten Seite) zeigt dieses Kernmotiv überall: manchmal verborgen, manchmal prominent. Gut hörbar ist es meist an den Nahtstellen, an denen die einzelnen Formteile zu einer großen Architektur zusammengeschweißt sind - fast wie ein Doppelpunkt, der ankündigt: Achtung, ein neuer Formteil!

Mit gotischer Genauigkeit

Auch die anderen Sätze der Sinfonie sind voll solcher Bezüge, auch hier arbeitet Brahms mit der für ihn typischen Ökonomie der Mittel: aus einem kleinen Kerngedanken ganze sinfonische Gebäude zu entwickeln. Typisch für Brahms ist zudem, dass er alles handwerklich genauestens ausfeilt, auch scheinbar unwichtige Details, selbst wenn sie vielleicht irgendwo in den Mittelstimmen liegen, wo man sie nicht so genau hört.

Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt hat das einmal als "gotische Genauigkeit" bezeichnet: "Brahms muss mit einer fast gotischen Genauigkeit gearbeitet haben. Ich denke daran, dass die Statuen in gotischen Kirchen auch an Stellen bis ins letzte Detail ausgearbeitet sind, die man hundertprozentig sicher nicht sehen kann. Ein Barockkünstler würde das nie machen, der nagelt da ein paar Holzleisten hin. Ich sehe eine Ähnlichkeit zwischen dieser gotischen Perfektion und der Arbeitseinstellung von Brahms. Diese Akribie, diese Skrupel: 'Ist das wirklich das, was ich wollte?'"

Dvorák über Brahms' dritte Sinfonie: "Lauter Liebe und das Herz geht einem dabei auf"

Noch vor der Uraufführung spielte Brahms die dritte Sinfonie seinem Freund Antonín Dvorák am Klavier vor. Dvorák war begeistert und schrieb an den Verleger Fritz Simrock: „Ich sage und übertreibe nicht, dass dieses Werk seine beiden ersten Sinfonien überragt; wenn auch nicht vielleicht an Größe und mächtiger Konzentration – so aber gewiß an – Schönheit! Es ist eine Stimmung drin, wie man sie bei Brahms nicht oft findet! Welch herrliche Melodien sind da zu finden! Es ist lauter Liebe und das Herz geht einem dabei auf. Denken Sie an meine Worte und wenn Sie die Sinfonie hören, werden Sie sagen, daß ich gut gehört habe.“

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Foto: SWR, SWR - Marco Borggreve)
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Bis heute identifiziert es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-1999, dann übernahm Sylvain Cambreling. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze.

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