Musikstück der Woche vom 18.08.2014

Kreutzer-Sonate

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Ludwig van Beethoven: Violinsonate A-Dur op. 47

Ein wildes, zügelloses Stück – in Tolstojs Novelle „Kreutzersonate“ ist es der Auslöser für einen Eifersuchtsmord. Patricia Kopatchinskaja und Henri Sigfridsson sind dafür die idealen Interpreten, weil sie keinerlei musikalischen Kompromisse machen. Unsere Aufnahme stammt vom März 2008 aus der Martinskirche im Badischen Müllheim.

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„Darf man von Rechts wegen dieses Presto aus Beethovens Kreutzersonate im Salon inmitten dekolletierter Damen spielen, die hinterher Beifall klatschen, Gefrorenes essen und über die letzte Skandalgeschichte plaudern?“ fragt Posdnyschew, der Anti-Held in Tolstojs Novelle „Kreutzersonate“. Als seine Frau einen Geiger bei dieser Sonate am Klavier begleitet, kocht in ihm die Eifersucht: er spürt, welch enge emotionale Verbindung zwischen den beiden Musikern durch die Wildheit dieser Musik entsteht; und welche Intimität – Posdnyschew selbst hat mit seiner Frau nie solche Gefühle erlebt. Seine Eifersucht steigert sich ins Uferlose und schließlich ermordet er seine Frau. 

Die Naturgewalt der Kreutzersonate

Posdnyschew empfindet Beethovens Musik als Bedrohung für sein aufgeräumtes Seelenleben: „Die Musik zwingt mich, mich selbst und das, was meine Wirklichkeit ist, zu vergessen, sie versetzt mich in eine andere Wirklichkeit, die nicht die meine ist; ich habe unter dem Einflusse der Musik den Eindruck, dass ich etwas fühle, was ich im Grunde genommen gar nicht fühle, etwas begreife, was ich nicht begreife, etwas vermag, was ich nicht vermag … Die Musik versetzt mich plötzlich, unmittelbar, in jenen seelischen Zustand, in dem sich der Urheber der Musik befunden hat. Unsere Seelen verschmelzen, und ich schwebe mit ihm zusammenaus dem einen Zustande in den andern hinüber. Warum ich das tue, weiß ich freilich nicht.“

„Auf mich wenigstens“, so gesteht Posdnyschew“, übte dieses Stück eine furchtbare Wirkung aus: es war mir, als ob sich mir neue Gefühlswelten, neue Möglichkeiten eröffneten, von denen ich bisher keine Ahnung gehabt“.

Tolstojs Novelle hat später Leos Janácek zu seinem Streichquartett „Kreutzersonate“ inspiriert, 2002 schrieb Margriet de Moor einen Roman mit dem selben Titel. 

Kreutzersonate ohne Kreutzer

Ursprünglich hieß die Kreutzersonate „Sonata mulattica“, weil Beethoven sie für einen ‚mulattischen‘ Geiger geschrieben hatte: für George Polgreen Bridgetower, einen Engländer mit afrikanischen Wurzeln, der 1803 auf einer Konzertreise in Wien gastierte. Beethoven und Bridgetower spielten gemeinsam die Uraufführung. Später kam es zum Zerwürfnis, Beethoven zog die Widmung zurück und eignete die Sonate dem französischen Geiger Rodolphe Kreutzer zu. An seinen Verleger schrieb Beethoven: „Dieser Kreutzer ist ein guter, lieber Mensch, der mir bej seinem hiesigen Aufenthalte sehr viel Vergnügen gemacht, seine anspruchslosigkeit und Natürlichkeit ist mir lieber als alles Exterieur oder inferieur der meisten Virtuosen – da die Sonate für einen tüchtigen Geiger geschrieben ist, um so passender ist die Dedication an ihn. " Kreutzer hat die Sonate angeblich nie gespielt. 

… und  ohne Zügel

„Scritta in uno stilo molto concertante, quasi come d’un concerto“, steht auf dem Titel des Erstdrucks: „In stark konzertierender Weise geschrieben, als wäre es ein Konzert“. In ihrer Virtuosität (sowohl für die Geige als auch fürs Klavier) überragt die Sonate das übliche Maß der Kammermusik bei weitem. Es ist ein Werk für den Konzertsaal. Überall zeigt sich Beethovens Kompromisslosigkeit und der Mut, an die formalen und emotionalen Grenzen zu gehen. In der Kreutzersonate – besonders im ersten Satz – steckt eine beinahe explosive Kraft. Diese Musik nimmt keinerlei Rücksicht auf Etikette, sondern stellt alles in den Dienst des radikalen Ausdrucks. Kein Wunder, dass gerade dieses Stück beim (Anti-) Helden in Tolstojs Novelle eine solche Gefühlslawine auslöst. 

Patricia Kopatchinskaja

Wo sie geigt, entsteht immer ein Feuerwerk auf der Bühne. Sie begibt sich ganz in die Musik hinein, mit aller Intensität, Kraft, Ausdrucksstärke, Kompromisslosigkeit – und auch Virtuosität. Sie stammt aus Moldawien, studierte in Wien und Bern, spielt Musik von der Barockzeit bis in die Moderne (sehr gerne auch Kammermusik), dirigiert und komponiert.

 

Der finnische Pianist Henri Sigfridsson (Foto: Pressestelle, Käch Artists & Promotion - Manfred Esser)
Der finnische Pianist Henri Sigfridsson

Henri Sigfridsson

Stammt aus Turku in Finnland, hat an der Sibelius-Akademie in Helsinki Klavier studiert, später in Köln und Weimar. Diverse Wettbewerbserfolge  etablierten ihn auf den internationalen Konzertbühnen. Seit 2011 ist er Klavierprofessor an der Essener Folkwang-Musikhochschule.

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Doris Blaich