Musikstück der Woche vom 25.08.2014

Kindheitserinnerungen

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AUTOR/IN
Katharina Höhne

Zoltán Kodály: Tänze aus Galánta

Musik ist eng mit unseren Erinnerungen verknüpft. Ein Ton genügt und durch unseren Kopf springen Bilder aus längst vergangenen Zeiten. Als der ungarische Komponist Zoltán Kodály das Orchesterwerk "Tänze aus Galánta" schrieb, erinnerte er sich ebenfalls zurück – an die Sommermonate seiner Kindheit. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR hat unter der Leitung des britischen Dirigenten Neville Marriner Kodálys Erinnerungen lebendig werden lassen, am 24. Januar 2013 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle.

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Galánta, Ursprung der Musik

Budapest, 1933. Zoltán Kodály schweift mit den Augen über das Notenblatt, das vor ihm liegt. Er erinnert sich noch ganz genau. Es war ein langer Sommer, heiß und staubig. Damals dachte er, dass die Tage endlos seien. Jeden Morgen lief er aus dem Haus, die Dorfstraße hinunter, vorbei an den weiten Feldern, durch den Wald und kehrte erst bei Sonnenuntergang zurück. An einem dieser Tage, als er gerade mit dem Fuß einen Stein aus dem Weg kickte, schlich sich eine Melodie in sein Ohr. Sie war so eigen, dass er nicht mehr weghören konnte und ihr ins Dorfinnere folgte…

Seit seiner Geburt hallte durch das Elternhaus von Zoltán Kodály Musik. Die Mutter war eine gute Klavierspielerin, der Vater leidenschaftlicher Hobby-Geiger. Die Musik war eine Konstante, die immer blieb, auch wenn die Familie mal wieder den Wohnort wechselte. Denn Kodálys Vater war Mitarbeiter der Ungarischen Staatsbahn und musste entsprechend flexibel sein. Sieben Jahre lebte die Familie in Galánta, einem kleinen Dorf, 25 Kilometer von Bratislava entfernt. Auch wenn es hier nicht viel gab, beheimatete Galánta eine der berühmtesten Zigeunerkappelle Ungarns. Diese hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Volksmusik ihres Heimatlandes zu pflegen.

Als Kodály, an jenem Sommertag, die Kapelle das erste Mal spielen hörte, war er wie elektrisiert. Ihre Melodien und Rhythmen gingen ihm durch den ganzen Körper. Stundenlang hockte er vor dem Haus, in dem sie übte, und prägte sich jeden einzelnen ihrer Töne ein. Kein Wunder also, dass sie ihm heute, 45 Jahre später, immer noch durch den Kopf schwirrten. 

Kodály lebt mittlerweile in Budapest und ist nicht nur ein anerkannter Komponist sondern lehrt auch als Professor für Musiktheorie und Komposition an der hiesigen Hochschule für Musik. Nachdenklich sitzt er über der Partitur des Orchesterwerks, das die Budapester Philharmonie zur Feier ihres 80-jährigen Bestehens bei ihm in Auftrag gegeben hat. Auf dem Titelblatt steht "Tänze aus Galánta". Er blättert die Partitur durch. Über jede Seite tanzen die Melodien und Rhythmen seiner Kindheit: feurig und lebhaft, schroff und temperamentvoll. 

Volksmusik, Quelle der Inspiration

Volksmusik galt bereits zu Kodálys Lebzeiten als verschrien. Für viele war sie Musik ohne künstlerischen Anspruch. Der ungarische Komponist sah das anders. In seinen Augen war sie nicht nur identitätsstiftend sondern auch Quelle für neue Ideen. 

Angeregt durch seinen Freund und Komponisten Béla Bartók fing Kodály zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, die Musik seiner Vorfahren zu sammeln und aufzubereiten. Er reiste durch ganz Ungarn, um selbst in den kleinsten Orten nach Volksliedern zu suchen, die er mitnahm, nach ihren Eigenarten untersuchte, publizierte und im besten Falle musikalisch verarbeitete. Eine seiner ersten Stationen war Galánta. 

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR 

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt jährlich rund 80 Konzerte im Sendegebiet des Südwestrundfunks, in den nationalen und internationalen Musikzentren und bei bedeutenden Musikfestspielen. Ergänzt wird seine Konzerttätigkeit durch zahlreiche Studioproduktionen für Rundfunk und Fernsehen.

Das Orchester pflegt das klassisch-romantische Repertoire in exemplarischen Interpretationen und setzt sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten aufgeführte Komponisten und Werke ein. Bis heute hat es mehr als 500 Werke uraufgeführt. Dazu setzt es sich verstärkt für die Förderung junger Künstler ein und gestaltet durch ein breitgefächertes Angebot die Programme der Musikvermittlung SWR Young CLASSIX mit. 

Dirigent Sir Neville Marriner

Sir Neville Marriner begann seine musikalische Karriere als Geiger, erst als Kammermusiker, später als Mitglied des London Symphony Orchestra. In dieser Zeit gründete er auch die Academy of St Martin in the Fields. Nach seinem Studium in Amerika markiert 1969 die Gründung des Los Angeles Chamber Orchestra durch Sir Neville Marriner den Beginn seiner dirigentischen Laufbahn. Zeitgleich gastiert er bereits bei führenden Orchestern weltweit. 1979 wurde er Music Director und Principal Conductor des Minneapolis Symphony Orchestra sowie Chefdirigent des SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart. Beide Positionen füllte er bis in die späten 80er Jahre aus. Gastdirigate führten ihn nach Wien, Berlin, Paris, Mailand, Athen, New York, Boston, San Francisco und Tokio. Zweifach in England für seine Verdienste um die Musik ausgezeichnet, erhielt Sir Neville Marriner auch Auszeichnungen in Frankreich, Deutschland und Schweden.

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Katharina Höhne