Musikstück der Woche vom 16.06.2014

Ein Stück vergessene Weltliteratur

Stand
AUTOR/IN
Katharina Höhne

Johann Sebastian Bach: Suite für Violoncello Nr. 1 G-Dur BWV 1007

Das Prélude aus Johann Sebastian Bachs Cello Suite Nr. 1 G-Dur ist weltberühmt. Vielfach gespielt, vielfach vertont gehört es zu den Meisterwerken der klassischen Musik und treibt jeden Cellisten an die Grenzen seines Könnens. Viele Zeitgenossen von Bach behaupteten deswegen, dass es unspielbar sei und für den Konzertsaal vollkommen ungeeignet. Deshalb geriet es in Vergessenheit und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts von dem berühmten katalanischen Cellisten Pablo Casals in einer alten Musikalienhandlung in Barcelona wiederentdeckt. Die junge Cellistin Harriet Krijgh hat es bei den Schwetzinger SWR-Festspielen am 2. Juni 2013 gespielt.

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Blick auf das Denkmal des Komponisten Johann Sebastian Bach auf dem Thomaskirchhof in Leipzig (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - Jan Woitas)

Eingeklemmt zwischen dicken Notenstapeln

Barcelona, 1890. Der 13-jährige Pau und sein Vater schlendern durch die engen Gassen der Stadt. Fast wären sie vorbei gelaufen, an der alten Musikalienhandlung, die sich in einem der vielen bunten Häuser versteckt. Pau läuft suchend durch den Laden. Bis unter die Decke stapeln sich hier die Noten. Bach, Brahms, Telemann, Mozart… Pau ist aufgeregt. Er kann es immer noch nicht glauben, dass ihm sein Vater vor ein paar Tagen ein Cello geschenkt hat. Sein erstes eigenes. "Seit zwei Jahren spielt mein Sohn Cello", erzählt der Vater dem Verkäufer. "Er ist sehr talentiert müssen sie wissen." Pau ist derweil fündig geworden. Fasziniert blättert er durch ein Heft, auf dem in großen Druckbuchstaben "Johann Sebastian Bach. Sechs Suiten für Violoncello solo" steht. Pau mag Bach. Jeden Morgen spielt er noch vor dem Frühstück ein paar Takte aus dessen Wohltemperiertem Klavier.

Zuhause angekommen schnappt sich Pau sein Cello. Doch die Noten sind alles andere als einfach. Aber der Junge ist ehrgeizig. Er übt jeden Tag, zwölf Jahre lang! Mit 25 Jahren fühlt sich Pau, der sich mittlerweile Pablo nennt, und auf dem Weg ist, ein weltberühmter Cellist zu werden, endlich bereit, Bachs sechs Suiten in einem Konzert aufzuführen. Es wird ein voller Erfolg, genau wie die folgende Schallplattenaufnahme, die Bachs vergessene Literatur weltweit bekannt macht. 

"Quintessenz von Bachs Schaffen"

Die sechs Suiten für Violoncello solo, die Pablo Casals bis zu seinem Tod täglich spielt, sind "die Quintessenz von Bachs Schaffen und Bach selbst die Quintessenz aller Musik", wie er sagt. Angeblich entstanden sie in Bachs Hofkapellmeister-Jahren in Köthen, ein genaues Datum ist nicht notiert. Auch die Originalhandschrift ist heute nicht mehr existent, lediglich eine Abschrift, unter anderem seiner ersten Frau Anna Magdalena, die Bach als Komponisten legitimiert. Bach schrieb die Suiten für ein fünfsaitiges Instrument. Da das Cello nur vier Saiten hat, geht man davon aus, dass sich Bach eine "viola pomposa" bauen ließ, die der Stimmlage des Cellos sehr nahe kam, aber auf dem Arm gespielt wurde. Bach selbst war Violinist und Bratschist. 

Mehr als Lehrstücke

Die Suite Nr. 1 ist die wohl bekannteste der sechs Kompositionen. Bach schöpft darin den Klangraum des zur damaligen Zeit noch sehr jungen Instruments voll aus. Das Prélude und die fünf darauffolgenden Tanzsätze Allemande, Courante, Sarabande, Menuett und Gigue bestechen durch ihre Farbigkeit und ihre feine Mehrstimmigkeit.  

Obwohl die sechs Suiten in ihrem Charakter sehr lebendig sind, fungierten sie lange Zeit lediglich als Lehrstücke, an denen sich junge Cellisten die Finger wund spielten. Denn sie sind höchst virtuos und stecken voller spieltechnischer Tücken. Auch Robert Schumann, der sich im Zuge der romantischen Bach-Renaissance der Suiten annahm und eine Klavierbegleitung komponierte, schaffte es nicht, sie in die Öffentlichkeit zu bringen. Erst dem spanischen Cellisten Pablo Casals gelang dies. 

Harriet Krijgh – "Das neue Musikantenwunder"

Harriet Krijgh ist eine der aufregendsten und vielversprechendsten jungen Cellistinnen unserer Zeit. Sie besitzt eine „künstlerische Präsenz, die wirklich nur sehr selten zu beobachten ist“, schreibt die Presse. „Harriet Krijgh verschmilzt regelrecht mit ihrem Violoncello“ – natürlich, ausdrucksstark und innig zugleich. 1991 in den Niederlanden geboren, erhielt Harriet Krijgh mit fünf Jahren ihren ersten Cello Unterricht. 2000 wurde sie Jungstudentin an der Hochschule für Musik Utrecht und ging 2004 nach Wien, um an der Konservatorium Wien Privatuniversität Cello zu studieren. Seit September 2013 ist Harriet als „Junge Solistin“ an der renommierten Kronberg Academy. Ihre künstlerische Ausbildung in Wien setzt sie parallel dazu fort. Harriet Krijgh hat bereits in renommierten europäischen Konzerthäusern in Wien, Rotterdam und Amsterdam gespielt und war bei zahlreichen Festivals, wie den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern zu Gast, wo sie 2013 mit dem WEMAG Solistenpreis ausgezeichnet wurde. Sie ist Preisträgerin zahlreicher Wettbewerbe und hat bereits drei CDs veröffentlicht. Auf Burg Feistritz in Österreich hat die Cellistin ein eigenes Festival „Harriet & Friends“ initiiert, bei dem sie alljährlich im Juni mit befreundeten Musikern aus aller Welt Kammermusik spielt.

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Katharina Höhne