Musikstück der Woche vom 9.6.2014

Ein sinfonischer Testosteron-Rausch

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Richard Strauss: Don Juan op. 20

Don Juan, der berühmteste Macho aller Zeiten, hat eine erstaunliche musikalische Karriere gemacht - und unter anderem den jungen Richard Strauss zu einer kraftstrotzenden sinfonischen Dichtung inspiriert. In unserem Konzert vom 27.09.2012 in der Alten Oper Frankfurt leitet François-Xavier Roth das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.

Audio herunterladen (24,7 MB | MP3)

Der Komponist und Dirigent Richard Strauss (1864-1949) im Jahr 1880 als Schüler. (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - dpa)

Ausgerechnet in einem Kloster notiert Richard Strauss die ersten Ideen für seinen "Don Juan" – dabei schert sich sein Titelheld einen Dreck um die klösterlichen Tugenden von Armut, Keuschheit und Gehorsam. Don Juan ist der Inbegriff des Macho: testosterongesteuert, egoistisch und skrupellos. Um die Schönen, die er sich ausgeguckt hat, zu erobern, nimmt er auch schon mal achselzuckend einen Mord und andere finstere Machenschaften in Kauf. Die Frauen – junge wie alte, Bauernmädchen wie Gräfinnen - erliegen reihenweise seinem Charme und landen grundsätzlich mit ihm im Bett. Don Juan liebt sie zwar aufrichtig, aber seine Liebe ist eben leider kurzlebiger als eine Eintagsfliege. Die Folgen: Wut, Rachegelüste und Enttäuschung – allerdings nur bei den entehrten Damen. Denn Don Juan blickt immer nur nach vorn, zum nächsten Abenteuer.

Bühne frei für Don Juan!

All das macht Don Juan zu einem idealen Opernhelden: wo er ist, wirbelt das Leben und die Lust; und die starken Emotionen der betrogenen Damen sorgen für die bühnenwirksamen Kontraste. Mozarts "Don Giovanni" ist die berühmteste Oper über diesen Stoff; davor und danach gibt es noch zahlreiche andere – so viele, dass man in Wien sogar ein Don Juan Archiv gegründet hat: ein Forschungsinstitut, das sich der Geschichte des Don Juan-Stoffes widmet. Auch Richard Strauss plante eine Don Juan-Oper, hat sie aber nie geschrieben.

Ein musikalischer Muskelprotz

Vierundzwanzig Jahre alt war Strauss, als er seine sinfonische Dichtung komponierte; neben sich auf dem Schreibtisch als literarische Inspirationsquelle das Versdrama "Don Juan" von Nikolaus Lenau. Die Partitur wurde sein Durchbruch: "Don Juans Erfolg großartig", schreib Strauss nach der Uraufführung mit der Weimarer Hofkapelle im Herbst 1889, "das Stück klang zauberhaft und ging ausgezeichnet und entfesselte einen für Weimar ziemlich unerhörten Beifallssturm."

"Hinaus und fort nach immer neuen Siegen, solang der Jugend Feuerpulse fliegen!", legt Lenau dem Titelhelden in den Mund - und Strauss verwandelt es in Töne: Selbstbewusst erobert sich Don Juan die Welt, reckt sich empor in einem rasenden Lauf und stürmt wieder herab, wie ein Raubvogel, der auf seine Beute stürzt. Ein Paukenschlag eröffnet dann Don Juans Hauptthema: strotzend vor Kraft, markant und energisch. Wild rauscht er durch die Tonartenlandschaft, alle Instrumente des Orchesters liegen ihm zu Füßen. Strauss, der Klangfarben-Magier, hat einmal von sich gesagt, er könne ein Glas Bier so materialgerecht in Musik übersetzen, dass der Zuhörer sofort erkenne, ob es sich um Kulmbacher oder Pilsener handele. Im "Don Juan" merkt der Zuhörer sofort: Hier gibt's Hochprozentiges! Wer Angst hat vor Extremgeschwindigkeiten, Fortissimo-Donner und musikalischen Vulkanausbrüchen, geht lieber gleich in Deckung. Denn dieses Thema kehrt immer wieder, in unterschiedlicher Gestalt: Strauss hat es virtuos in eine große musikalische Architektur eingebaut, einer Mischung aus der Sonatenform (der üblichen Sinfonien-Form für schnelle Anfangssätze) und der Rondoform.

Daneben bleiben die zarteren, "weiblichen" Themen, wie die Seufzer der Flöte oder die ausdrucksstarke Oboenmelodie, bloße Episoden: "Die einzelne kränkend, schwärm' ich für die Gattung", sagt Lenau lapidar über Don Juans Eroberungs-Moral, die sein Treiben regiert. Aber auch das unterliegt dem Gesetz der Endlichkeit: "Der Brennstoff ist verzehrt, und kalt und dunkel ward es auf dem Herd". In Musik übersetzt: noch einmal ein lustvolles Aufbäumen zu einem Riesencrescendo - abrupte Generalpause - ein letztes Muskelzucken in den flirrenden Geigentremoli, Tod durch Herzstillstand.

Don Juans Bewährungsprobe

Strauss' "Don Juan" gehört zu den klassischen Probespiel-Stücken für Orchestermusiker. Jeder, der in ein professionelles Sinfonieorchester will, kann und muss mit diesem Stück beweisen, dass er - oder sie! - das Instrument souverän und absolut schwindelfrei beherrscht. In unserer Aufnahme dauern die ersten 7 Takte rund 7 Sekunden, das bedeutet für den Himmelsstürmer-Lauf der Geigen zu Beginn: für jeden Ton ist genau 1/16 Sekunde Zeit. Man darf hier also nicht lang rumfackeln, sondern muss geigen, was das Zeug hält. So verwandeln sich auch die Zurückhaltenden und Schüchternen mindestens einmal im Berufsleben in einen Don Juan ...

Das Sinfonieorchester Baden-Baden Freiburg (Foto: SWR, SWR - Klaus Polkowski)
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Die Geschichte des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg reicht in das Jahr 1946 zurück. Sie ist geprägt von unroutiniertem Umgang mit der Tradition, Aufgeschlossenheit für das Neue und Ungewöhnliche: Tugenden, über die auch Chefdirigent Sylvain Cambreling in ungewöhnlichem Maße verfügt, der seit 1999 viele Jahre lang mit dem Orchester arbeitete. 2011 hat François-Xavier Roth seine Nachfolge angetreten.

Dass man mit hohen Ansprüchen Erfolg haben kann, beweist das Orchester bis heute. Mehr als 300 von ihm eingespielte Kompositionen sind auf CD erschienen, und es reist seit 1949 als musikalischer Botschafter durch die Welt. Zahlreiche Gastspiele verzeichnet die Orchesterchronik, darunter regelmäßig zum Festival d'Automne Paris, den Salzburger Festspielen, nach Wien, Berlin und Edinburgh, Brüssel, Luzern, Strasbourg und Frankfurt. 

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich