Musikstück der Woche vom 12.5.2014

Brahms takes Five

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Johannes Brahms: Haydn-Variationen op. 56a

Das Thema dieser Orchestervariationen stammt (wie man heute weiß) gar nicht von Haydn. Aber das ist hier nebensächlich: Brahms hat sich mit diesem farbenfrohen Stück einen großen Schritt weiter herangewagt an die Welt der Sinfonie. In unserem Live-Mitschnitt dirigiert François-Xavier Roth das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg; das Konzert fand am 28.4.2013 im Konzerthaus Freiburg statt.

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Primzahlen, Fünftakter und asymmetrische Taktgruppen sind für klassische musikalische Themen eigentlich ungeeignet; die meisten Komponisten greifen lieber zu Zwei- und Viertaktgruppen, weil sie sich wesentlich besser in einen 'natürlichen' Fluss von Auf und Ab einfügen. Brahms wollte etwas Anderes ausprobieren. Für seine Haydn-Variationen wählte er kein abgezirkelt-klares Thema, sondern eines mit einer merkwürdig schiefen Architektur: Dieser „Chorale St. Antoni“ ist zusammengesetzt aus 5+5+4+4+5+5 Takten; was seinem damals schon etwas verstaubten Charme eine fast ländlich-naive Frische einhaucht.

Ein Archivfund …
Brahms fand diesen „Chorale“ 1870 im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien. Er gehört zu einer „Feldpartita“, deren Noten Joseph Haydn zugeschrieben sind; was sich allerdings als Fehlzuschreibung erwiesen hat. Ursprünglich ist der Choral für ein Bläserensemble instrumentiert: je zwei Oboen, Hörner, Fagotte und Serpent (ein Bass-Instrument aus der Familie der Zinken, das seinen Namen – „Schlange“ – den schlangenförmigen Windungen verdankt). Brahms übernimmt für sein Orchesterwerk diese Instrumentation. Er ersetzt lediglich den Serpent durch ein Kontrafagott und reichert die Stimmen etwas an: um Flöten, Trompeten und (gezupfte) Streicher.

… mit dem sinfonischen Farbkasten aufgefrischt
In den acht Variationen und dem anschließenden Finale klappt Brahms dann den sinfonischen Farbkasten immer weiter auf: Klarinetten und Fagotte sorgen für neue Klänge, natürlich die Streicher (zwischendurch auch mit Dämpfer), Oboen- und Hornsoli. Jede Variation beleuchtet eine neue kompositorische Fragestellung: Mal stehen verschiedene Rhythmen einander gegenüber, mal wechselt die Tonart von B-Dur ins schattenhafte b-Moll, mal wechselt der Charakter vom Feierlichen ins kichernd-Luftige, dann ins schattenhaft-Trübe. Jede Variation ist eine Stufe innerhalb einer großen Steigerung, in der nicht nur das Tempo allmählich anwächst, sondern sich auch die Motivik zunehmend verdichtet: Aus den Kerngedanken entwachsen neue musikalische Ideen. „Entwickelnde Variation“ nannte Arnold Schönberg später dieses kompositorische Prinzip, das so typisch ist für Brahms‘ musikalisches Schaffen.

Kulminationspunkt und Krönung dieses Variationszyklus ist das Finale: eine große Passacaglia mit ostinatem Bass – also eine Variation innerhalb der Variationsreihe. Zuletzt erscheint nochmals in allem Glanz der ursprüngliche Choral.
Die Uraufführung in Wien 1873 war ein großer Erfolg, und längst wäre der Weg zur großen Sinfonie frei gewesen. Aber Brahms, der Zweifler und Infragesteller, verbrachte noch ein paar Jahre mit Zögern und Ringen.

Das Sinfonieorchester Baden-Baden Freiburg (Foto: SWR, SWR - Klaus Polkowski)
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Die Geschichte des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg reicht in das Jahr 1946 zurück. Sie ist geprägt von unroutiniertem Umgang mit der Tradition, Aufgeschlossenheit für das Neue und Ungewöhnliche: Tugenden, über die auch Chefdirigent Sylvain Cambreling in ungewöhnlichem Maße verfügt, der seit 1999 viele Jahre lang mit dem Orchester arbeitete. 2011 hat François-Xavier Roth seine Nachfolge angetreten.

Dass man mit hohen Ansprüchen Erfolg haben kann, beweist das Orchester bis heute. Mehr als 300 von ihm eingespielte Kompositionen sind auf CD erschienen, und es reist seit 1949 als musikalischer Botschafter durch die Welt. Zahlreiche Gastspiele verzeichnet die Orchesterchronik, darunter regelmäßig zum Festival d'Automne Paris, den Salzburger Festspielen, nach Wien, Berlin und Edinburgh, Brüssel, Luzern, Strasbourg und Frankfurt. 

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Doris Blaich