Musikstück der Woche vom 23.12.2013 mit dem Freiburger BarockConsort

Georg Philipp Telemann: Ouverture D-Dur für Viola da Gamba, Streicher und B.c. TWV 55:D6

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

In der Weihnachtswoche herrscht auch im Musikstück der Woche festlicher Trompetenglanz – obwohl in dieser Suite von Telemann gar keine Trompeten mitspielen. Statt dessen ahmen Geigen und eine Gamben das Geschmetter und die typischen Trompetenrhythmen trefflich nach. Unsere Aufnahme mit dem Freiburger BarockConsort stammt aus dem Konzerthaus Freiburg vom Mai 2008.

Über 3600 Werke hat Telemann hinterlassen – selbst für barocke Verhältnisse ein Riesenoeuvre! Um in dieser Fülle einigermaßen die Übersicht zu bewahren, haben sich die Telemann-Forscher unserer Zeit auf eine Nummerierung geeinigt, die zunächst etwas sperrig wirkt. Sie setzt sich aus dreierlei Komponenten zusammen: Gattung, Tonart und Ordnungszahl. In unserer Suite TWV 55:D6 steht die 55 für die Gattung „Ouvertüre“ bzw. „Ouvertüren-Suite“ und das D für die Tonart D-Dur. Das ist eine der Lieblingstonarten der Barockzeit, auch bei Telemanns Ouvertüren trägt sie den Rekord davon: insgesamt sind von Telemann 26 Suiten in D überliefert. Um sich bequem und eindeutig verständigen zu können, hat man sie einigermaßen willkürlich durchgezählt – jedenfalls nicht chronologisch, denn von den meisten dieser Suiten lässt sich nicht genau sagen, wann sie entstanden.


Tonartenpomp
C-Dur und mehr noch D-Dur sind die Trompeten-Tonarten des Barock, denn vor der Erfindung der Klappen- und Ventiltrompete waren es praktisch die einzigen Tonarten, die man auf dem Instrument spielen konnte. Darum wählen die Komponisten immer dann, wenn es um Siege, Jubel, Glanz und Majestät geht (sei sie göttlicher oder weltlicher Natur), diese Tonarten - verbunden mit der Trompete, dem Militär-, Signal- und Prunkinstrument der Zeit: „Jauchzet, frohlocket“ in Bachs Weihnachtsoratorium steht selbstverständlich in D-Dur, das „Halleluja“ aus Händels „Messias“ oder das pompöse „Te Deum“ von Marc-Antoine Charpentier, dessen Eingangsthema im 20. Jahrhundert zur Eurovisionsfanfare mutierte.

Prahlen, Stampfen, Balancieren
Telemann verwendet in seiner Suite alle Kennzeichen der Tonart D-Dur, er schreibt eine echte Trompetenmusik. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner D-Dur-Suiten spielt hier allerdings gar keine Trompete mit. Statt dessen ahmen die Streicher die typischen kurz-kurz-lang-Signale von Trompeten nach. Die Ouvertüre ist das festliche Eröffnungsstück (in der Barockzeit heißt oft das ganze mehrsätzige Werk nach diesem ersten Satz; gerne auch auf französisch: „Ouverture“). Telemann schreibt eine Musik im französischem Stil, wie er kennzeichnend ist fürs absolutistischen Frankreich: streng, elegant, mit scharfen Punktierungen, angeordnet in perfekter Symmetrie – zwei Rahmenteile und ein schnellerer Mittelteil, in dem sich zum ersten Mal die Streicher in Trompeten verwandeln. Der zweite Satz „La Trompette“ verrät anschließend allen, die es in der Ouvertüre noch nicht bemerkt haben, womit hier gespielt wird. Wie bei barocken Trompetenstücken üblich, gilt auch hier die Devise: Immer schön in der Tonart bleiben! Sonst gerät man schnell in unspielbare Vorzeichen-Regionen; hier gilt das Gesetz eben auch für die als-ob-trompetenden Streicher.
Die Sarabande verlässt die Angeber-Pose der ersten beiden Sätze. In diesem Tanz kommt es ganz auf die perfekte Körperbalance und die Delikatesse der Bewegungen an. Eingebettet in zwei Dur-Rahmenteile entfaltet die Gambe ein wehmütiges Moll-Solo im Mittelteil. Im Rondeau wird der Gestus wieder beherzter. Übersichtlichkeit der Form und Eingängigkeit des musikalischen Themas (zum Mitsingen!) ist hier das Hauptanliegen. Die beschwingte Bourée spielt mit den Licht- und Schatteneffekten von Solo und Tutti, die Courante eröffnet ein reizvolles Wechselspiel der Rhythmen: Zweier- und Dreiergruppen sind hier auf geistreiche Weise einander gegenübergestellt. Der Mittelteil („Double“) gehört wieder der Solo-Gambe. Die Gigue ist üblicherweise der Rausschmeißer in der barocken Suite. Ursprünglich ist es ein ungehobelter englischer Bauerntanz. Den Charakter des Wilden und Ungezügelten nutzt auch Telemann für sein Schluss-Stück: deutlich hört man hier die Tanzschritte durchklingen: kraftvolle Seitgalopp-Sprünge und zwei derbe Stampfer.

Freiburger BarockConsort
Das Freiburger BarockConsort ist ein Ableger des renommierten Freiburger Barockorchesters. Dessen Konzertmeisterin Petra Müllejans spielt hier wie dort mit. In unserer Aufnahme gesellen sich zu ihr: Hille Perl (Viola da gamba) als Solistin, Christa Kittel (Violine), Annette Schmidt (Viola), Ute Petersilge (Violoncello), Matthias Müller (Violone), Lee Santana (Laute) und Torsten Johann (Cembalo).
Wo die barocke Basis sich zerklüftet, wo die Komponisten besonders verrückt und virtuos, traurig und witzig werden und die Wege schmal, da ist das Freiburger BarockConsort unterwegs: ein Ensemble für die kleiner besetzte Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, die intensive Zuwendung im kammermusikalischen Spiel verlangt. Die Besetzung variiert je nach Repertoire. Mit seinen Tourneen hat sich das Freiburger BarockConsort ein internationales Publikum erschlossen: Von Südfrankreich bis Skandinavien, vom Balkan bis nach Südostasien. Inzwischen hat das Ensemble auch mehrere CDs aufgenommen, die allesamt begeistert von der Kritik aufgenommen werden und vielfach mit Preisen ausgezeichnet sind.

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Doris Blaich