Musikstück der Woche vom 15.07.2013

Goldmedaille für Komposition

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AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Als Tanejew 19 war, erhielt er eine Goldmedaille aus der Hand seines Kompositionslehrers Dabei war die Medaille mindestens genauso wertvoll, wie die Lehrerhand: sie gehörte Peter Tschaikowsky.

Seinem Lehrer Tschaikowsky blieb Tanejew herzlich verbunden. Auch musikalisch. Sein Klavierquartett E-Dur op. 20 kam 1906 zur Uraufführung. Interpreten unserer Aufnahme sind: Anna Zassimova (Klavier), Albrecht Breuninger (Violine), Julien Heichelbech (Viola) und Bernhard Lörcher (Violoncello).

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Meister der Kammermusik

In Russland zählte Tanejew lange zu den ganz großen und russische Autoren scheuten sich nicht, namhafte Vergleiche heranzuziehen. Vikor Belaief zum Beispiel, der 1929 in "Cobbett's Cyclopedic Survey of Chamber Music" über Tanejew schrieb: "Seine Kammermusikwerke auf einer Stufe mit denjenigen der Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven oder den Werken seines Zeitgenossen Brahms werden lange ein Muster reinen Stils und erhabener Kunst bleiben. Den Beweis für ihre Lebenskraft und ihren Wert haben die Jahre seit dem Tod des Komponisten erbracht, in denen sie nichts an Bedeutung eingebüßt, sondern im Gegenteil ständig gewonnen haben. Unter allen russischen Komponisten von Kammermusik gibt es vielleicht nur einen, der mit Tanejew verglichen werden kann: Glasunow." 1915 hatte sich Tanejew auf der Beerdigung seines Schülers Alexander Skrjabin eine schwere Erkältung zugezogen, an der er bald darauf als berühmter und geachteter Komponist starb. Heute ist von seiner einstigen Berühmtheit - zumindest im internationalen Konzertbetrieb - nicht allzu viel geblieben.

Tanejew, der berühmteste Schüler Tschaikowskys, hat sich besonders für Kammermusik interessiert. Sechs Streichquartette, zwei Streichquintette, zwei Streichtrios sowie je ein Trio, Quartett und Quintett mit Klavier stammen von ihm. In all seinen Werken blieb er sich (und seinem Lehrer) als durch und durch russischer Komponist treu: Volksmusik und Oper inspirierten ihn stark, interessiert an der klassischen Form aber doch leidenschaftlich - formsprengend leidenschaftlich - in seiner Ausdruckskraft.

Den virtuosen Klavierpart in seinem Klavierquartett E-Dur op. 20 schrieb Tanejew, der am Moskauer Konservatorium nicht nur bei Tschaikowsky Komposition sondern auch bei Arthur Rubinstein Klavier studiert hatte, für sich selbst. Mit Mitgliedern des Böhmischen Streichquartetts brachte der Komponist sein Werk in Moskau selbst zur Uraufführung.

Tanejew, 1856 geboren, wurde nach seinem Studium am Moskauer Konservatorium selbst dort Lehrer für Komposition und Musiktheorie, und zu seinen Schülern gehörten Sergej Rachmaninow, Reinhold Glière und Alexander Skrjabin. Er liebte die Musik von Händel, Palestrina und Mozart und gilt als der größte Kontrapunktiker der russischen Musik. Auch in seinem Klavierquartett E-Dur op. 20, findet sich Kontrapunktisches, zum Beispiel die Fuge im Finale. Anhand des Hauptthemas im ersten Satz kann man schön sehen, wie sich Tanejew auf ein neues Werk vorbereitete: Ein Thema pflegte er zunächst auf seine kontrapunktischen Möglichkeiten zu prüfen, zerlegte es in seine kleinsten Einheiten und bearbeitete diese dann mittels Umkehrung und Krebs, Augmentation und Diminution, Engführung und Stretta. War ihm das Thema nun auf diese Weise bekannt, begann er mit der Komposition.

Überliefert ist übrigens die Geschichte, dass Tanejew seinen Schülern geraten haben soll, lieber Fugen als Préludes zu komponieren. Zumindest im Falle von Skrjabin hatte dieser Rat wenig genutzt...

Anna Zassimova (Klavier)

Die Anregung, sich mit dem Kammermusikwerk von Sergej Tanejew auseinander zu setzen, gehen auf die russische Pianistin Anna Zassimova zurück. In ihrer Geburtsstadt Moskau begann Anna Zassimova ihre pianistische Ausbildung an der Gnessin Spezial-Musikschule, in die sie mit 5 Jahren aufgenommen wurde. Mit 14 Jahren gab sie im Saal der Gnessin-Musikakademie ihr erstes Klavierrezital und erspielte sich im Jahr darauf die Ehrenurkunde beim 1. Frédéric-Chopin-Wettbewerb für junge Pianisten in Moskau. Im 2. Jahr ihres späteren Studiums an der Gnessin-Musikakademie bei Prof. Vladimir Tropp, einem der profiliertesten Musiker und Klavierpädagogen Russlands, wurde sie von der Gesellschaft der russischen Hochschulen als „Beste Studentin des Jahrgangs 1995/96“ ausgezeichnet.
Neben ihrem Musikstudium studierte sie zeitgleich auch an der Akademie für Malerei, Bildhauerei und Baukunst in Moskau. Gefördert u.a. durch die Staatl. Moskauer Philharmonische Gesellschaft, gab sie Solo- und Kammermusikkonzerte in großen europäischen Hauptstädten, in Minsk, Prag, London, Warschau und in den USA. Ein DAAD- Stipendium führte sie 2002 zu einem Klavier- und Kammermusikstudiums an die Musikhochschule Karlsruhe, das sie bei Prof. Michael Uhde und Prof. Markus Stange mit Auszeichnung absolvierte. Ergänzend besuchte sie Meisterkurse u.a. bei Bruno Canino, Alexander Braginsky, Andre Marchand. „Sie hat Mozarts Klavierkonzert Es-Dur „Jeunehomme“ so brillant, mit solcher Souveränität gespielt, dass ich auf eine Pianistin mit großen Zukunftschancen aufmerksam geworden bin“, schrieb der Dirigent und Komponist Peter Eötvös 2007 nach ihrem Abschlusskonzert mit dem Stuttgarter Kammerorchester an der Karlsruher Musikhochschule.
Sie konzertierte als Solistin u.a. mit dem Orchester des Moskauer Bach- Zentrums, dem Gnessin-Virtuosen-Orchester und dem Stuttgarter Kammerorchester, und hatte Auftritte im Rahmen von Kammermusikreihen: im Künstlerhaus und im Gasteig in München, sowie in der Liederhalle in Stuttgart. Ihre Kammermusikpartner waren Markus Stange, Martin Ostertag, das Ensemble Roslavez Trio, das Minguet Quartett und andere. In unserer Aufnahme der Kammermusik von Sergej Tanejew musiziert Anna Zassimova gemeinsam mit Albrecht Breuninger (Violine), Julien Heichelbech (Viola) und Bernhard Lörcher (Violoncello).

Schon während ihres Studiums in Moskau hat sich Anna Zassimova mit wissenschaftlichen Recherchen über den russischen Komponisten George Catoire beschäftigt – einen der interessantesten Zeitgenossen Skrjabins. 2010 schloss sie ihre Dissertation über Leben und Werk G. Catoires am Institut für Musikwissenschaft und Musikinformatik der Hochschule für Musik in Karlsruhe ab.

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Kerstin Unseld