Musikstück der Woche vom 18.2. bis 24.2.2013

Haydns Visitenkarte für England

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AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Geschrieben hat er sie 1790 im adligen 'Kokon' auf Schloss Esterhazy. Erobert hat er mit ihnen die Herzen seines bürgerlichen Konzertpublikums in London.

Beim Festival Heidelberger Frühling 2012 trat das junge britische Elias String Quartet mit dem Es-Dur-Streichquartett aus diesem Quartettzyklus Zyklus op. 64 auf. Die Aufnahme stammt von einem Konzert in der Alten Aula der Heidelberger Universität vom 18.4.2012.

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Raus aus der Öde

"Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irremachen und quälen, und so musste ich original werden." Diese Schilderung Haydns ist hinlänglich bekannt, und seine Sicht auf seine Situation ist messerschaft. In den 1790er Jahren fühlte Haydn dieses Abgesondertsein auf schloss Esterhazy immer stärker, oft sprach er in Briefen von seiner "Einöde" und davon, dass er "immer ein Sklav sein" müsse. Geknüpft ist dieses Gefühl an den Wunsch, auszubrechen. So wundert es kaum, dass die in dieser Zeit entstandenen Streichquartette op. 64 keinen fürstlichen Widmungsträger haben, sondern mit "Monsieur Jean Tost" einen Geschäftsmann. Haydn kannte Johann Tost gut, war er doch bis 1788 Stimmführer der zweiten Geigen im Orchester des Fürsten Esterhazy gewesen und hatte dort bereits mit Haydn musiziert. Tost war ein guter Geiger, was sich auf den anspruchsvollen Part der ersten Violine in Opus 64 niederschlug, und Tost, mittlerweile in Paris tätig, war ein guter Anwalt für Haydns Verlegerwünsche. Haydn schrieb Musik, in der er die klassischen Formen auf einem nie dagewesenen Niveau vorantrieb, er machte, wie der Musikwissenschaftler Peter Gülke einmal sagte, den Hof von Esterhazy zu einem "Experimentalstudio für Neue Musik". Und Haydn wünschte 1790, am Ende seiner Dienstzeit auf Schloss Esterhazy, dass das auch in ganz Europa jeder hörte.

Ein Teil seiner sechs Streichquartette op. 64 nahm Haydn auf seine erste England-Reise nach London mit, wo sie in öffentlichen ein großer Erfolg wurden. Das Streichquartett, wuchs in dieser Zeit aus seinem kleinen, feinen, adligen Kammermusikformat heraus, eroberte die großen Konzertbühnen und ein großes, zahlendes, bürgerliches Publikum. An diesem sozialgeschichtlichen Wendepunkt stehen musikgeschichtlich diese Haydn-Quartett von 1790.

Elias String Quartet

Die Mitglieder des in England ansässigen Elias String Quartets stammen aus Frankreich, Schottland und Schweden und haben sich 1998 am Royal Northern College of Music in Manchester als Quartett zusammengefunden. Dort haben sie regelmäßig mit dem kürzlich verstorbenen Dr. Christopher Rowland zusammengearbeitet. Außerdem haben sie ein Jahr beim Alban Berg Quartett an der Kölner Musikhochschule studiert. Zu den weiteren Mentoren des Quartetts zählen Mitglieder der Amadeus, Endellion und Vermeer Quartette, Hugh Maguire, György Kurtág, Gábor Takács-Nagy, Henri Dutilleux, Paul Katz, Rainer Schmidt, Kim Kashkashian und Milan Skampa.

Im Jahr 2003 wurde das Elias String Quartet (damals noch unter dem Namen Johnston String Quartet) beim Internationalen Streichquartett-Wettbewerb in London mit dem zweiten Preis und dem Sidney Griller Preis ausgezeichnet, zwei Jahre später war es Finalist beim Borciani Wettbewerb.

Das Hauptaugenmerk des Quartetts liegt in der Saison 2012/2013 auf dem 2011 begonnen und 2015 vollendeten Beethoven-Zyklus, den die Musiker zusammen mit Unterstützung der Borletti-Buitoni-Stiftung, deren Preis sie 2010 erhalten haben, realisieren. Die Dokumentation ihrer Reise, sowie Erkenntnisse und Ergebnisse werden auf einer eigens dafür gestalteten Website veröffentlicht.

Das Elias String Quartet spielt in folgender Besetzung: Sara Bitlloch und Donald Grant, Violinen, Martin Saving, Viola sowie Marie Bitlloch, Violoncello.

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Kerstin Unseld