Musikstück der Woche vom 21.4.2014

Brahms' Klarinetten-Testament

Stand
AUTOR/IN
Antje Tumat
Doris Blaich

Johannes Brahms: Klarinettenquintett h-Moll op. 115

Das Klarinettenquintett von Brahms ist ein musikalischer Lebensrückblick - und eines der Lieblingswerke der Kammermusikliteratur. In unserem Live-Mitschnitt von den Ettlinger Schlosskonzerten des SWR spielt Nicola Boud auf einem Nachbau der Klarinette von Richard Mühlfeld, für den Brahms dieses Stück komponiert hat. Mit dabei ist das Quatuor Cambini-Paris, das Konzert war am 30. März 2014 im Asamsaal von Schloss Ettlingen.

Das Klarinettenquintett von Johannes Brahms ist ein Alterswerk voller Komplexität und Dichte. Seit dem großartigen Erfolg bei seiner Uraufführung zählt es zu Brahms' beliebtesten Werken. In Besetzung und Satzfolge an Mozarts Klarinettenquintett anknüpfend, ist das Quintett darauf angelegt, das kompositorische Resümee eines ganzes Lebens zu ziehen: Es entstand 1891, nachdem Brahms sein Testament bereits an seinen Verleger und Freund Fritz Simrock geschickt hatte. Dass er sich noch einmal einer neuen und für die Kammermusik des 19. Jahrhunderts so ungewöhnlichen Gattung wie dem Klarinettenquintett zuwandte, hängt insbesondere mit der Person des Klarinettisten Richard Mühlfeld zusammen. Die Musikalität des Solobläsers aus dem Meininger Hoforchester und die unvergleichliche klangliche Qualität seines Klarinettenspiels hatten Brahms bei einem Aufenthalt in der herzoglichen Residenzstadt fasziniert. Man könne "nicht schöner Klarinette blasen, als es der hiesige Herr Mühlfeld tut", schrieb er an Clara Schumann. Er ließ sich von Mühlfeld in die Spielweise des Instruments einweihen und zur Komposition von vier Werken mit Klarinette inspirieren: neben dem Quintett op. 115 (1891) auch zu dem Trio op. 114 (1891) sowie den beiden Sonaten op. 120 (1894).

Mühlfelds Klarinette

In unserem Konzert spielt die australische Klarinettistin Nicola Boud auf einer historischen Klarinette; in der der Konzerteinführung stellte sie das Instrument dem Publikum vor:

"Es ist eine Kopie der Klarinette von Richard Mühlfeld, die heute in Meiningen im Museum liegt. Sie ist aus Buchsbaumholz gemacht. Das hat eine geringere Dichte als das afrikanische schwarze Ebenholz, das man von modernen Klarinetten kennt. Das Buchsbaumholz klingt zarter und süßer. Der Schallbecher ist ein bisschen kleiner und die Bohrung enger, das macht den Klang etwas intimer. Das Instrument hat weniger Klappen als eine moderne Klarinette. Man kann darauf mit den selben Griffen spielen wie auf einer Klarinette aus der Mozart-Zeit. Dieses Instrument steht an einer Weggabelung: Es deutet gleichzeitig in die Vergangenheit und in die Zukunft. Es ist von 1880, damals waren die Instrumentenbauer sehr erfinderisch und aktiv, es gab viele Entwicklungen im Instrumentenbau – und die Entwicklung dieser Klarinette war wirklich eine Sensation. Von da aus ging der Weg direkt zur modernen deutschen Klarinette."

Alles ist aus einem Kern herausgeschält

Brahms hatte schon immer eine Vorliebe für die satte klangliche Mittelage, und dass die Verwendung der Klarinette in diesem Kontext den Gattungsnormen der Zeit widersprach, konnte ihm im vorgerückten Alter gleichgültig sein: Im Zentrum dieser späten Werke ging es ihm einzig um die Umsetzung seiner ureigensten kompositionstechnischen Ideen. Das Quintett lebt weniger von den selbstständigen Einzelstimmen als von einer klanglichen Homogenität, in der die Klarinette einen besonderen Farbwert darstellt. Im zweiten Satz, einem dreiteiligen Adagio in H-Dur, in dem die Streicher durchgängig con sordino (mit Dämpfer) spielen, tritt das Soloinstrument allerdings in besonderem Maße hervor: Der h-Moll-Mittelteil wird von einem Rezitativ der Klarinette eingeleitet, und die folgenden improvisatorischen Umspielungen erinnern an Elemente aus der ungarische Folklore.

Das gesamte Werk wird dominiert von einer übergreifenden Idee: So gibt es gibt kaum ein Thema, das nicht auf das Grundmotiv des ersten Satzes zurückgeführt werden kann. Die Coda des letzten Satzes zitiert schließlich in pointierter Weise die beiden wichtigsten Motive des Kopfsatzes. Sie konfrontiert diese mit dem Motiv der letzten Variation, so dass sich am Ende des Werkes der kompositorische Kreis motivischer Verwandtschaften in einem weiten melancholischen Rückblick schließt.

Quatuor Cambini-Paris

Julien Chauvin und Karine Crocquenoy, Violine

Pierre Eric Nimylowycz, Viola

Atushi Sakaï, Violoncello

"Leidenschaft" ist wohl derjenige Begriff, der die vier jungen Musiker des Quatuor Cambini-Paris am treffendsten beschreibt: die Leidenschaft für die historischen Instrumente, die die Musiker als Mitglieder einiger der besten Alte-Musik-Ensembles-Frankreichs spielen (darunter Les Talens Lyriques, Le Cercle de L’Harmonie und L’Orchestre de Champs-Élysées); die Leidenschaft, mit der sie sich auf die Suche nach unbekannten Partituren machen und diese Musik neu entdecken; die Leidenschaft für die Formation des Streichquartetts als beste Möglichkeit, ihre gemeinsame Musikalität zum Ausdruck zu bringen.  

Giuseppe Maria Cambini (ca. 1746-ca. 1825), Geiger und Komponist mit einem abenteuerlichen Lebensweg, ist der Namenspatron des Quartetts – was das Interesse der Musiker widerspiegelt: die stilistische Vielfalt der Klassik und Romantik zu erkunden. Zu Unrecht vergessene französische Komponisten zählen denn auch ebenso zum Repertoire des Quartetts wie die bekannten Meister - Haydn, Mozart, Beethoven und Mendelssohn etwa. Das Quartett ist bei zahlreichen Festivals und Kammermusikreihen in ganz Europa zu Gast: unter anderem beim Centre du Musique Baroque Versailles, beim Festival Aix-en-Provence, im Pallazzetto Bru Zane in Venedig, im Brüsseler Concertgebouw, im Marmorpalast St. Petersburg und im Louvre in Paris. Seine CD- und DVD-Einspielungen sind vielfach preisgekrönt und bringen wenig bekannte Musik zum Klingen: Quartette von Devienne, Vachon und Cambini, von Jadin und Félicien David.

Nicola Boud, Klarinette

Nicola Boud stammt aus Perth, wo sie an der University of Western Australia Klarinette und Musikwissenschaft studierte. Ihr Interesse an Alter Musik führte sie in die Niederlande; am Königlichen Konservatorium Den Haag machte sie bei dem Klarinettisten Eric Hoeprich ein Aufbaustudium in historischer Aufführungspraxis. Heute lebt sie in Paris und ist vielgefragte Soloklarinettistin in den führenden Orchestern und Ensembles, die sich älterer Musik mit historischen Instrumenten widmen – unter anderem spielt sie in Philippe Herreweghes Orchestre des Champs Élysées, in John Eliot Gardiners Orchestre Révolutionnaire et Romantique, in Jos van Immerseels Ensemble Anima Eterna, in Jérémie Rhorers Le Cercle de L’Harmonie und im Freiburger Barockorchester. Mit diesen Ensembles hat sie etliche CDs eingespielt und tourt um die ganze Welt. Außerdem ist Nicola Boud eine begeisterte Kammermusikerin. Zu ihren Partnern gehören die Hammerklavier-Pianisten Kristian Bezuidenhout und Jos van Immerseel, das Cambini und das Edding Quartett, die Ensembles Zefiro und Il Gardellino. Auch kammermusikalisch bereist sie die Musikfeste und Konzertsäle Europas. 

Sie unterrichtet historische Klarinette an der Abbaye aux Dames in Saintes, an der Universität Poitiers und als Gastdozentin an der Musikhochschule Trossingen und der Karlsruher Händelakademie.

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Antje Tumat
Doris Blaich