Musikstück der Woche vom 20.08. bis 26.08.2012

Damals: Donaueschingen 1924

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Erwin Schulhoffs Sextett ist kein leichtes Werk. Wie auch, spiegeln sich dort doch die Schrecken des Ersten Weltkrieges wider. Uraufgeführt wurde es 1924 am Donaueschinger 'Quell' Neuer Musik.

Zudem stammt dieses Streichsextett op. 45 aus der Zeit des Expressionismus', und auch diese spiegelt sich hier wider. Die Musiker der Sint Pieters Akademie spielten Schulhoffs selten gehörtes Streichsextett in einem Konzert am 15.11.2001 in Wiesloch.

Partituren von Erwin Schulhoff (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - Jens Büttner)

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Kriegsfolgen

In Prag, 1894 noch die Hauptstadt Böhmens und Teil des Östereichisch-Ungarischen Reiches, wurde Erwin Schulhoff geboren und wuchs zu einem so bemerkenswerten musikalischen Talent heran, dass Antonín Dvorák als damaliger Direktor des Prager Konservatoriums die Familie Schulhoff aufforderte, den Sohn besonders zu fördern. Später in Wien sollte er Kompositionsschüler von Max Reger werden, in Köln dann Klavierschüler von Claude Debussy.

Aber als das österreichische Heer an die italienische Front rückte, war Schulhoff wehrpflichtig und wurde eingezogen. Diese grauenhafte Erfahrung des Nahkampfes hinterließ bei ihm einen tiefen und dauerhaften Eindruck, künstlerisch wie menschlich. Nach dem Krieg kehrte Schulhoff für kurze Zeit in seine Heimat Prag zurück. In all diesen Jahren hatte der junge Schulhoff schon viele ernste Erfahrungen gemacht: Nagenden Antisemitismus hatte er erlebt, Tod und Zerstörung als Soldat, er hatte gesehen, wie starke Reiche zusammenbrechen und alles in politischem Chaos versinkt.

In dieser Aura entstand das Streichsextett. Schulhoff begann mit der Arbeit daran schon 1920 in Dresden. Dort hatte er sich in die Musik Schönbergs vertieft; streng chromatisch – wenn auch nicht atonal – begann er sein Streichsextett zu komponieren. Marschähnliche Rhythmen tauchen wie ein Echo auf die Schrecken des Krieges auf, und erst vier Jahre später sollte er sich in seiner Heimatstadt Prag wieder dem Streichsextett zuwenden: Im zweiten Satz herrscht eine ruhigere, friedlichere Stimmung. Hier dürfen die Instrumente sehnsüchtig und langatmig 'singen': es folgt eine teuflisch schwere und ungestüme Burlesca und dann das Finale mit der einen oder anderen Reminiszenz an Schulhoffs 1918 verstorbenen Lehrer Debussy. Schulhoff widmete sein Streichsextett übrigens Francis Poulenc.

Schulhoff war ein fleißiger Komponist - zum Beispiel vollendete er allein acht Symphonien – und in seiner sogenannten mittleren Periode von 1919-1930 schuf er unterschiedliche Kammermusikwerke, von denen das Streichsextett sicher das bedeutendste ist. Dennoch wurde es nur selten gespielt, bis 1978 blieb es gar unveröffentlicht. Als sehr ernsthaftes, wenn nicht tragisches Werk stellt es zudem sehr hohe technische Ansprüche; Gidon Kremer war in den 1960er Jahren einer der ersten, die mit öffentlichen Aufführungen wieder auf Schulhoffs Streichsextett aufmerksam machten.

Überhaupt ist die Aufführungsgeschichte des Werkes interessant: Durch seine Uraufführung im Jahr 1924 ist Schulhoffs Streichsextett mit den Donaueschinger Musiktagen (die in dieser Zeit noch "Donaueschinger Kammermusik-Aufführungen" hießen) verbunden. In einem Konzert am 20. Juli 1924, bei dem das Prager Zika-Quartett zunächst Ernst Tochs Streichquartett und Anton Webers "6 Bagatellen für Streichquartett" uraufführte, traten zum Schluss gemeinsam mit den Quartettspielern noch Paul Hindemith als zweiter Bratscher und sein Cello spielender Bruder Rudolf auf die Bühne. Zu sechst spielten die Musiker dann erstmals Schulhoffs Streichsextett.

Sint Pieters Akademie

In der Sint Pieters Akademie Musiker aus verschiedenen international anerkannten Kammermusikensembles, Solisten, Hochschullehrer und Orchestermusiker. Gegründet wurde das Ensemble 2005 von dem Cellisten Michael Groß mit dem Ziel Kompositionen in variablen Besetzungen zur Aufführung zu bringen und somit Werke wieder öfter erklingen zu lassen, die, bedingt durch Ihre Besetzung, durch klassische Kammermusikformationen nicht oder nur selten zur Aufführung gebracht werden. Die Besetzung der Sint Pieters Akademie wird vom Repertoire bestimmt. Als Mitglieder der Sint Pieters Akademie spielten in diesem Konzertmitschnitt: Sachiko Kobayashi und Holger Koch (Violine), Paul Pesthy und Tomoto Yamasaki (Viola), Michael Groß und Chihiro Saito (Violoncello).

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Kerstin Unseld