Musikstück der Woche vom 6.1.2014

Bach zwischen den Knien gespielt

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AUTOR/IN
Marcus Imbsweiler

Johann Sebastian Bach: Sonata II D-Dur BWV 1028 für Viola da Gamba und Cembalo

Fast schon ein Dinosaurier war die Kniegeige zu Johann Sebastian Bachs Zeiten. Mit seinen Sonaten hat er sie noch einmal wachgeküsst und ihr zu neuem Glanz verholfen. Im Musikstück der Woche spielen Jan Freiheit (Gambe) und Wiebke Weidanz (Cembalo). Der Mitschnitt stammt von den Ettlinger Schlosskonzerten des SWR im Oktober 2013.

Blick auf das Denkmal des Komponisten Johann Sebastian Bach auf dem Thomaskirchhof in Leipzig (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - Jan Woitas)

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Bis heute steht Johann Sebastian Bachs Kammermusik im Schatten seines Klavier-, Orchester- und vor allem seines Vokalschaffens. Aber natürlich finden sich auch hier Kompositionen überragender Qualität: neben Werken für Violine bzw. Flöte und Cembalo auch drei Sonaten für Gambe. Sie markieren einen letzten Höhepunkt der Literatur für dieses Instrument. Aufhalten ließ sich der Abschied von der Viola da gamba aber auch durch Bach nicht. Stellten die Gamben noch im 17. Jahrhundert eine ebenso vielgestaltige wie vielseitig einsetzbare Instrumentenfamilie dar, wurden sie bis 1800 von der Geige und ihren Unterformen verdrängt, und zwar nahezu vollständig. Dieser Prozess verlief "von oben nach unten" und parallel zu den musikalischen Anforderungen. Schon früh wich die hohe Diskantgambe der Geige mit ihrem glanzvollen, flexiblen Ton; später folgten die Instrumente der Mittellage und ganz zuletzt die Tenorgambe, die vom Violoncello ersetzt wurde. Allein der Kontrabass verweist mit seiner besonderen Bauform und Spielweise noch heute auf seine Herkunft aus der Gambenfamilie.

Zwei Familien
Ein paar wesentliche Unterschiede zwischen Gamben und Geigen: Der Corpus der Gamben ist tiefer und größer, sein Boden nicht gewölbt, die Bauweise insgesamt leichter. Gamben haben fünf bis sieben Saiten in Quartstimmung; sie sind dünner und verlaufen über einen weniger gekrümmten Steg, was dem akkordischen Spiel entgegenkommt. Und: Gamben werden, wie bereits ihr Name verrät (gamba: Bein), auf oder zwischen den Knien gehalten. Verwendung fand die Gambe vor allem als höfisches Instrument der Kammermusik. Dem barocken Wunsch nach Klangintensität, melodischer Beweglichkeit und solistischer Brillanz entsprach sie dabei weniger als die Geige. Ihre besonderen Qualitäten, der sonore, eher intime Klangcharakter und das akkordische Spiel, fanden aber bis zum Ende der Epoche Berücksichtigung, etwa in Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 6, das Bratschen, Gamben und Celli einander gegenüberstellt.

Drei Sonaten
Bei Bachs Gambensonaten BWV 1027-1029 sind weder Anlass noch Entstehungsjahr bekannt. Man kann nur vermuten, dass sie in Köthen geschrieben wurden, wo es einen Gambe spielenden Fürsten und mit Christian Ferdinand Abel auch einen Virtuosen des Instruments gab. Ungewöhnlich ist die Begleitung durch ein konsequent zweistimmig spielendes Cembalo, bei dem beide Stimmen selbstständig geführt und in den Noten auch vollständig ausgeschrieben sind (wenn das Cembalo dagegen wie üblich als Generalbassinstrument eingesetzt ist, ist lediglich die Bass-Stimme notiert und mit Ziffern versehen; einer Art Kurzschrift für die Akkorde, die die rechte Hand greift) . Bach verwendet die Gambe als Melodieinstrument der Tenorlage, entsprechend der Bratsche oder dem Violoncello – für diese beiden Instrumente wurden denn auch schon bald Bearbeitungen der Sonaten erstellt.
Was man mit einiger Sicherheit sagen kann: dass es sich bei dieser Werktrias weder um eine zusammenhängende Serie noch um Originalkompositionen handelt. Für die erste Sonate ist sogar eine ältere Fassung erhalten, nämlich ein Werk für zwei Querflöten und Bass. Die dritte Sonate dagegen wirkt wie ein kammermusikalisch bearbeitetes Concerto grosso – und tatsächlich legte der Musikwissenschaftler Peter Williams vor einigen Jahren eine solche hypothetische "Urgestalt" des Werks vor.
Solche Neufassungen, das "Recyceln" älterer Kompositionen für ganz bestimmte Aufführungen oder im Blick auf einen konkreten Interpreten, sind bei Bach wie auch seinen Zeitgenossen üblich und sagen noch nichts über die Qualität der Musik. Interessant an den drei Gambensonaten ist die Tatsache, dass sie trotz grundsätzlicher Gemeinsamkeiten stilistisch in drei verschiedene Richtungen weisen und so – als "Bestandsaufnahme" des seinerzeit Möglichen – eben doch als Miniaturzyklus gelten können.

Die D-Dur-Sonate schaut mit einem Auge in die Zukunft

In der Sonate D-Dur BWV 1028 machen sich Einflüsse eines moderneren, galanten Stils bemerkbar, wie ihn etwa Bachs Söhne repräsentieren. So ist bereits das Adagio ein ausdrucksvoller, "affektgeladener" Zwiegesang, der in einen munteren Satz mit Tanzcharakter mündet. Nach einem ebenfalls gesanglichen Siciliano bietet das Schluss-Allegro instrumentale Virtuosität, in der nicht nur die Basslage der Gambe zum Tragen kommt (bis zum H1, also tiefer als ein Cello!), sondern beiden Partnern auch eine Art Solokadenz zugewiesen ist.

Jan Freiheit

1962 in Halle/Saale als Sohn einer Sängerin und eines Komponisten geboren, besuchte Jan Freiheit als Kind und Jugendlicher zunächst die Spezialmusikschule "G. F. Händel" in Berlin. Hier begann er im Alter von 12 Jahren mit dem Violoncellospiel und wurde nach einem Jahr in das an der Schule ansässige Jugend-Sinfonieorchester aufgenommen. Nach Abitur, Militärdienst und Praktika an Opernhäusern studierte er Violoncello an der Berliner Hochschule für Musik ,"Hanns Eisler". Während  seiner Studienzeit mündeten dann das seit langem bestehende  Interesse für die Musik des Barockzeitalters und einschneidende Konzerterlebnisse in eine intensive Beschäftigung mit dieser Musik und ihren Regeln sowie deren Umsetzung im Sinne historischer Aufführungspraxis. So studierte er dann von 1989 bis 1992 Viola da gamba bei Prof. Siegfried Pank an der Musikhochschule in Leipzig und besuchte internationaler Meisterkurse, u.a. bei Wieland Kuijken.

Direkte Folge dieser Auseinandersetzungen war die Gründung der Berliner Barock-Compagney im Jahre  986, einem Kammermusikensemble, welches sich insbesondere der Musik zwischen 1650 und 1750, aber auch der Klassik und der Früh-Romantik widmete. Daneben ist er seit 1992 Mitglied der Akademie für Alte Musik Berlin und seit 20 Jahren der Solocellist dieses Ensembles. Jan Freiheit tritt darüber hinaus auch mit Solokonzerten auf der Gambe oder dem Cello auf, sei es mit dem eigenen Orchester oder als Gast.

Seit vielen Jahren gibt er Unterricht auf beiden Instrumenten. Er ist seit fünf Jahren Dozent des Jugendbarockorchesters "Bachs Erben" für Violoncello und Kammermusik und studiert mit diesem Orchester auch Werke ein. Weiterhin hat Jan Freiheit einen Lehrauftrag an der Universität der Künste in Berlin für Barockvioloncello und Basso-continuo-Praxis für tiefe Streicher.

Wiebke Weidanz

Die Cembalistin Wiebke Weidanz ist "Bachpreisträgerin 2000" des renommierten internationalen Johann Sebastian Bach-Wettbewerbs Leipzig. Nach diesem Wettbewerbserfolg folgten Rundfunk- und CD-Produktionen, Konzerte führten sie zu internationalen Festivals in ganz Europa, nach New York, Japan und China.

Als Solistin und Continuospielerin ist sie regelmäßig bei den führenden Barockorchestern wie dem Freiburger Barockorchester, der Akademie für Alte Musik Berlin und Concerto Köln zu Gast. Seit etlichen Jahren arbeitet sie als Assistentin von René Jacobs bei internationalen Opernproduktionen in Berlin, Wien, Amsterdam, Brüssel und Aix-en-Provence. Daneben ist sie sowohl auf dem Cembalo wie auch auf dem Hammerflügel eine gefragte Kammermusikpartnerin. Wiebke Weidanz war bis 2003 Lehrbeauftragte an der Musikhochschule Leipzig und bis 2009 an der Musikhochschule Frankfurt, im Sommer 2013 unterrichtete sie beim Vielklang Meisterkurs in Tübingen.

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Marcus Imbsweiler