Musikstück der Woche vom 07.12.2015

Antonín Dvořák: Sinfonische Variationen op. 78

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

"Das schönste aller Geheimnisse: Ein Genie zu sein und es als einziger zu wissen", fand Mark Twain. Dvořák dagegen war heilfroh, als ein renommierter Musikverlag sein Genie erkannte und seine Musik veröffentlichte; darunter die Sinfonischen Variationen. In unserem Live-Mitschnitt aus dem Konzerthaus Freiburg dirigiert Michael Gielen das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.

Dvořák der Melodienkönig

Der Komponist Antonín Dvořák (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - picture-alliance / dpa/ dpaweb)
Der Komponist Antonín Dvořák

"Aus seinen musikalischen Abfällen könnte sich jeder andere Komponist die Hauptthemen zusammenklauben", sagte Johannes Brahms einmal über Antonín Dvořák - bewundernd, aber vielleicht nicht ganz neidfrei: Dvořák schienen die guten Melodien nur so zuzufliegen, während Brahms sauer darum ringen musste. 1875 freundeten sich die beiden Komponisten an, und diese Freundschaft war ein Wendepunkt in Dvořáks Leben: Brahms, acht Jahre älter und bereits ein etablierter Komponist, fädelte ein, dass Dvořák (damals Mitte 30 und außerhalb Tschechiens noch so gut wie unbekannt) seine Werke beim Musikverlag Simrock veröffentlichen konnte. Damit fand Dvořáks Musik endlich Eingang ins internationale Musikleben! Die Sinfonischen Variationen für Orchester gehören zu den ersten größeren Werken, die nach dieser Lebenswende entstanden.

"Ich bin ein Geiger" – und zwar ein böhmischer!

Das Thema der Variationen stammt von Dvořák selbst: Er entnahm es dem Männerchor "Ich bin ein Geiger", komponiert Anfang 1877. Noch im selben Jahr entstanden die Orchestervariationen. Zwei Merkmale tragen dazu bei, dass das "Geiger"-Theme für westeuropäische Ohren reizvoll fremdländisches Kolorit in sich birgt. Da ist zum einen die Melodik, die gleich im zweiten Takt aus der Grundtonart C-Dur ausschert und überraschend ein fis einschmuggelt, das dann im nächsten Takt ebenso überraschend wieder zum f zurück changiert. Und da ist zum anderen die 'schräge' Struktur: typisch für westeuropäische Themen ist eine quadratisch-praktische Unterteilung in 4+4+4+4-Taktgruppen. Dvořák schreibt statt dessen 7+8+7 Takte, baut also eine klare symmetrische Gestalt, die allerdings durch die Siebentaktigkeit mehrwürdig irregulär wirkt. Wie so oft bei Dvořák, vermutet man beim Hören einen folkloristischen Ursprung, obwohl es sich nicht um echte Volksmusik handelt.

Dvořák erfindet 27 Variationen (wieder so eine schräge Zahl!) über dieses Thema. Bemerkenswert lange bleibt er in der Grundtonart C-Dur, erst in Variation 18, wenn das Horn die melodische Führung übernimmt, schiebt er alles einen Ganzton nach oben; eine Walzervariation moduliert dann nach B-Dur. Daran schließt sich eine Reihe von Moll-Variationen. Das Finale erreicht dann wieder die Grundtonart, beendet wird dieser phantasievolle kaleidoskopähnliche Farbenreigen mit einer schnellen Stretta, die grundiert ist von den ersten vier Tönen des Themas.

Ein Erfolgsrekord für Dvořák

Hans Richter dirigierte die Variationen 1887 in London und erntete damit überschwänglichen Beifall. Stolz berichtete Dvořák seinem Verleger Simrock: "Richter schreibt mir von London: "Ihre Symphonischen Variationen haben hier einen großartigen Erfolg, und in den Hunderten von Konzerten, die ich in meinem Leben dirigierte, hat noch keine Novität solchen Erfolg, wie die Ihre, gehabt."

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Foto: SWR, SWR - Marco Borggreve)
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Bis heute identifiziert es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-1999, dann übernahm Sylvain Cambreling. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze.

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Doris Blaich