Musikstück der Woche mit Yevgeny Sudbin

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Joseph Haydns Klaviersonate in h-Moll taucht die Zuhörer in ein Wechselbad der Gefühle. Ganz so, wie man es zu seiner Zeit von einem Musikstück in dieser Tonart erwartete.

Interpret unseres Mitschnitts aus der SWR-Reihe „Internationale Pianisten“ ist der vielfach ausgezeichnete Londoner Tastenkünstler Yevgeny Sudbin.

Verwegenheit …

All das kann man (mehr oder weniger) auch in Haydns Sonate wahrnehmen. Beim Hören des ersten Satzes etwa kann schnell der Gedanke an Verwegenheit aufkommen. Denn gleich in den ersten beiden Takten geht Haydn kompositorisch buchstäblich in Grenzbereiche der Klaviatur:

Er schöpft in der Oberstimme einen Umfang von über anderthalb Oktaven aus, während die Bassstimme beharrlich noch weiter in die Tiefe abwandert. Stark sind die fortwährenden dynamischen Kontraste zwischen schroffem Forte und verhaltenem Piano.

Eindrucksvoll werden verzierte Haltetöne einer Phalanx aus spitzen Staccati gegenübergestellt. Vereinzelte Melodielinien wechseln sich mit flächigen Strukturen ab. Insgesamt hat dieser Satz bei aller Vielfalt der Mittel eine große formale Strenge.

Raserey …

Der zweite Satz, der im Tempo eines Menuetts erklingen soll, gibt sich mit der Tonart H-Dur da gleich viel versöhnlicher. Der Rahmenteil erinnert in seinem lyrischen Tonfall stark an Klaviermusik von Wolfgang Amadeus Mozart.

Tatsächlich ähnelt das Hauptthema mit der herabsteigenden, unbegleiteten Tonleiter stark dem Anfang von Mozarts berühmter „Linzer Sonate“ KV 333. (Diese entstand allerdings erst sieben Jahre später.) Dann aber, im Mittelteil, kippt der Satz urplötzlich in ein rauschhaft fluoreszierendes Gewebe in Moll.

Im Sinne von Quantz könnte man es durchaus als einen spontanen Anflug von „Raserey“ hören, auch wenn sich mit der Reprise des Rahmenteils wieder mehr Ruhe einstellt.

… und Verzweiflung?

Der Schlusssatz dieser Sonate, erneut in h-Moll, gehört zur bemerkenswertesten Klaviermusik, die Haydn jemals geschrieben hat. Einerseits ist er mit seinen unendlichen perlenden Läufen ein Vorausblick auf fingerbrecherische Virtuosenstücke à la Carl Maria von Webers „Perpetuum mobile“.

Andererseits fordert er ein Höchstmaß an Präzision in der Gestaltung. So stark der Sturm der pochenden Staccati und das Wirbeln der Sechzehntel auch sein mag, die Stimmung darf nie allzu sehr über die Strenge schlagen. Ein Gefühl der Verzweiflung, wie Quantz sie beschrieb, ist kaum wahrzunehmen.

Beim Hören wiederum spürt man eine eigensinnige, ja fast etwas störrische Konsequenz. Und diese lässt schon deutlich an die Musik denken, die Haydns Schüler Ludwig van Beethoven wenige Jahre später komponierte.

Autor: Felix Werthschulte

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