Für Geigenextremisten ein Muss

Roman Kims Debüt-CD: Kimpossible

Stand
AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
Roman Kim

CD-Tipp vom 11.12.2018

Geiger Roman Kim sorgt mit zwei Dingen für Furore: Mit exzentrischen Internet-Videos, in denen er auch mal im Rokoko-Kostüm zwischen ausgebrannten Autos für eine Whiskeyflasche spielt, und mit seiner extremen Virtuosität, die er am liebsten mit Musik von Paganini und Jimi Hendrix unter Beweis stellt. Jetzt hat Roman Kim seine Debut CD veröffentlicht.

Sportverletzungen dank Geigenübung?

Ich stelle mir vor, dass eines Tages Außerirdische auf dem Planeten landen. Sie haben noch nie von Bach, Mozart, Beethoven, Vivaldi gehört, und halten die Geige für ein merkwürdiges Sportgerät. Und dann fragt einer der Außerirdischen: Bei welcher Geigenübung kann man sich die übelsten Sportverletzungen zuziehen? Wenn Sehnen so richtig zum Zerreißen gespannt werden, dann bitte quälend langsam. Zwei oder drei Finger der linken Hand verknotet man zu absurd unbequemen Doppelgriffen, was an Gliedmaßen übrigbleibt, zupft gleichzeitig die Saiten, die nicht gerade gestrichen werden. Kann gehen, aber: Mit welchen Körperteilen hält der Kerl Geige und Bogen dann noch fest?

Unbekannte Geigen-Galaxien

Bachs berühmte Air, komplett ohne Vibrato: Alte Musik Puristen könnten sogar Freude daran haben. Außerdem wäre die Soloviolin-Bearbeitung von Roman Kim wäre vermutlich ein heißer Kandidat für das verletzungsintensivste Violinstück des Universums, wenn man nicht komplett austrainiert ist. Eine gute Antwort für Außerirdische, die so was wissen wollen. Metaphorisch betrachtet gehört Roman Kim sowieso zu den Aliens, denn rein geigerisch dringt er in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Flageoletts, diese flötenden Geigentöne, kann Roman Kim tatsächlich unerhört sauber und überraschend kombiniert einsetzen. Offenbar hat er völlig neue Kniffe gefunden, die er in seine eigenen Kompositionen im Antiquitätenstil einbaut. Wie´s genau geht, verrät er nicht. So schwer das alles jetzt ist, so wenig beeindruckend mag es auf Geigenlaien wirken. Dürfen die auch mal was Schnelles hören, Herr Kim? Glauben Sie es oder nicht, einige Töne reißt Geiger Roman Kim mit den Zähnen an. Das ist gleichermaßen beunruhigend für Geigenbauer wie für Zahnärzte. Roman Kim benutzt keine Stradivari, und man versteht warum. Aber auch die herkömmlichen virtuosen Geigenvehikel fährt Roman Kim einen Zahn steiler um die Kurve.

Kompositionen im Stil von Paganini

Paganini ist – neben Jimi Hendrix – Roman Kims Lieblingskomponist. Bei Paganini ist er ziemlich unangefochten derzeit Weltrekordhalter in allen Disziplinen. Und man möchte anregen, dass Sony bei den Paganini Nummern eine Art „Geld zurück Garantie“ auf die CD druckt: Schon mal sauberer gehört? Dann Rückerstattung… Sony würde vermutlich jeden Cent behalten…Roman Kim spielt also gerne Paganini, klar, er machts ja auch besser als die Anderen. Und er komponiert im Stil von Paganini, auch das macht er ziemlich gut, wobei die Anderen das gar nicht erst versuchen, denn es wirkt ja doch etwas verschroben anachronistisch. Nur bei einem Aspekt dieser in geigerischer Hinsicht extrem beeindruckenden CD fragt man sich dann doch: Warum? Warum hat Roman Kim zwei scheinbar ernstgemeinte „Total egal“ Stücke von einem gewissen Alexey Shor aufgenommen?

Musik des Komponisten Alexey Shor ist ziemlich dämlich, vielleicht muss man das mal öffentlich sagen. Zugegeben: Auch Paganinis Musik und Kims Eigenschöpfungen sind nicht immer etwas für Schwerstintellektuelle, aber man ist froh, dass auf der CD nur zwei Stücke von Shor sind, dafür umso mehr von dem unfassbaren Flitterkram, den echte Geigensüchtige dann doch irgendwie lieben. Kim Possible – warum tief, wenn´s auch eine Oktave höher geht?

Die unglaublichste Demonstration von Geigenkniffligkeiten

Musik im ewigen Schnee des Geigengriffbretts, da wo die Finger der linken Hand sich so weit um die Geige gewickelt haben, dass sie fast in der Nase bohren könnten, wenn sie nicht so viel zu tun hätten. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster: In technischer Hinsicht ist das die unglaublichste Demonstration von Geigenkniffligkeiten, die ich je gehört habe. Ich bekenne: Ich liebe es. Für Geigenextremisten ist das ein Muss. Für alle Violinstudenten der Welt auch, denn die sollten wissen, wo der metaphorisch etwas angestaubte Hammer hängt. Und der Rest? Ich sag mal so: Geschmacksfrage…

CD-Tipp vom 11.12.2018 aus der Sendung Treffpunkt Klassik - Neue CDs

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AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
Roman Kim