DVD-Tipp

Flamenco mit Noblesse – Inszenierungen des Flamenco-Stars Antonio Gades

Stand
AUTOR/IN
Nicole Strecker
KÜNSTLER/IN
Alfredo Tejada
Vanesa Vento
Angel Gil
Joaquin Mulero
Angela Nunez
Alfredo Tejada
Enrique Pantoja
Gabriel Cortes
Antonio Solera
Camaron de Pitita
Cristina Carnero
Alberto Ferrero

2004 verstarb Antonio Gades. Jetzt versammelt eine neue DVD-Box seine vier berühmtesten Werke: Neben „Carmen“ und „Bluthochzeit“ auch die „Suite Flamenca“ und „Fuenteovejuna“. Eine Aufnahme von Aufführungen aus dem Teatro Real mit Tänzern der Antonio Gades Kompanie und Solisten.

Flamenco, Carmen, Federico Garcia Lorca und Stierkampf. Schmerz, Mord und Triumph im sandelholzfarbenen Licht. Großartig, spanischer kann Spanien nicht sein als das von Antonio Gades. Aber das eigentliche Wunder ist: Der Ausnahmetänzer, Choreograf und überzeugte Kommunist hat dem Schwulst eine Klassizität verpasst, die noch heute, bald ein halbes Jahrhundert später, fasziniert.

So der Musiker Faustino Nunez im umfangreichen Bonus-Material der DVD-Box, in dem Gades immer wieder als der große Revolutionär des Flamenco gepriesen wird. Berühmtestes Beispiel, auch weil Regisseur Carlos Saura aus Gades' Ballett einen Kinoblockbuster gemacht hat: Carmen. Dazu die Direktorin der Antonio-Gades-Stiftung, Eugenia Eiriz:

Erster Akt: Keine Taverne, kein Marktplatz, auch keine Zigarettenfabrik, sondern ein Tanzsaal. Unmengen von Frauen und Männern beim Drill vor dem Spiegel. Gespannte Stahlfedern im Rücken, paradieren sie in geometrischen Formationen vor einem Choreografen und das rasend schnelle Rattern ihrer Füße lässt doch wieder an eine riesige Maschinenhalle denken. Dann kommt Carmen im - natürlich - chiliroten Kleid. Strenger Dutt, lässiger Hüftschwung, der Blick fokussiert. Es ist totenstill im Saal. Die Femme fatale lässt ihr Bein hervorschnellen, rafft den Rock hoch bis zum Schritt und, wenn sie nach einer Drehung den Fuß stampfend aufsetzt und arrogant den Kopf in den Nacken wirft, entlädt sich endlich die Spannung.

Antonio Gades ist ein Meister des Beginnens, das fällt auf, wenn man, wie jetzt möglich, mit der vorliegenden DVD-Box, seine berühmtesten Stücke in Serie sieht. Großartig etwa das erste Bild seiner Choreografie „Fuenteovejuna“, nach einem Stück von Lope de Vega. Infernorotes Licht. Eine Gruppe Bauern schwingt in Zeitlupe Mistgabeln und Sensen als wär's ein Gemälde vom Höllen-Brueghel. Eine Schlacht? Doch dann ändert sich das Licht, die Tänzer bewegen sich in normaler Geschwindigkeit und was wie ein brutales Gemetzel aussah, entpuppt sich als Alltagsszenerie: Bauern bei der Feldarbeit. Wer die Geschichte von Fuenteovejuna kennt, weiß, dass sich darin eines Tages eine Gruppe Bauern gegen ihren tyrannischen Fürsten erhebt und ihn meuchelt. Gades nimmt mit seinem Eingangsbild also nicht nur das gewalttätige Ende vorweg, es ist auch, als wäre es gerade das grauenvolle Verbrechen, das diese idyllische Gemeinschaft eint. Eine kalkulierte Entkitschung.

So der Musiker Faustino Nunez. Dabei war Antonio Gades, der Großmeister des Flamenco, weder Gypsie noch Andalusier. Er stammte aus Elda in der Region Valencia. Als 11-jähriger musste er die Schule beenden, um zu arbeiten. Mit 15 Jahren kam er zum Tanz und sein Spruch, nicht Berufung oder die Liebe zur Kunst habe ihn zum Tänzer gemacht, sondern der Hunger, ist längst ein geflügeltes Wort. Emilio de Diego, ein Gitarrist und Komponist der Kompanie sagt:

Diese mythentaugliche Biografie vom hungrigen Arbeiterkind, das zum Star aufsteigt, hat der Popularität seines Werkes gewiss nicht geschadet und hilft bis heute dem Klassiker. Denn nach wilder Avantgarde sah sein Tanz eigentlich schon zu seiner Entstehungszeit nicht aus. Gades revolutionierte den Flamenco - und zwar eben nicht durch Anarchie und Leidenschaft, sondern durch formverliebte Grandezza. Heute hysterisiert ein Choreograf wie Israel Galván die Tanzwelt, weil er den Flamenco zerfetzt, verlacht und überhitzt. Gades gelang das eigentlich viel erstaunlichere Experiment: Eine Rebellion durch Eleganz. Virtuosität war für ihn bloß Prostitution. Entsprechend streng und schnörkellos-schön sind seine Choreografien. Wer hätte vor Antonio Gades gedacht, dass Hüften so unvulgär-nobel zucken können - Sexappeal als Präzisionsarbeit. Selbst das Prekariatsmilieu einer Carmen prägt die aristokratische Anmut. Die Chica und ihr Don José umtanzen einander mit so apart-aggressiver Erotik - fast könnte man an ein Pas-de-Deux vom niederländischen Choreografiemeister Hans van Manen denken. Tatsächlich war Gades wohl einer der ersten, der das Crossover zwischen Folklore und zeitgenössischem Tanz suchte. Dass ihm dies gelang, lag immer auch an der fantastischen Musik, in der Bizet-Oper und schluchzende Melismen, üppiges Mussorgsky-Orchester und einsame Solo-Gitarre, überhaupt Flamenco und Klassik verblüffend harmonisch fusionierten.

So Dominique You, technischer Direktor der Antonio Gades Kompanie. Die Stildogmen des 2004 verstorbenen Tanz-Matadors kann man nun mit dem Stück-Quartett der DVD ausgiebig studieren. Eine charismatische Diva wie einst Gades' Tänzerin Cristina Hoyos fehlt dem Ensemble der Filmaufnahme allerdings spürbar, die Distanz von Dekaden lässt sich in dieser tänzerischen Interpretation nicht immer überbrücken. Aber eine aktualisierte Hommage gebührt dem proletarischen Ästheten unbedingt. Ein Genie, das einst antrat den Flamenco zu erneuern - durch Bewahrung des Alten.

DVD-Tipp vom 20.9.2018 aus der Sendung Treffpunkt Klassik

Stand
AUTOR/IN
Nicole Strecker
KÜNSTLER/IN
Alfredo Tejada
Vanesa Vento
Angel Gil
Joaquin Mulero
Angela Nunez
Alfredo Tejada
Enrique Pantoja
Gabriel Cortes
Antonio Solera
Camaron de Pitita
Cristina Carnero
Alberto Ferrero