Les Siècles spielen Kompositionen von Maurice Ravel unter der Leitung von Francois-Xavier Roth

Preiswürdige Ersteinspielung

Stand
AUTOR/IN
Eleonore Büning
KÜNSTLER/IN
Les Siècles

CD-Tipp vom 27.04.2018

Flexibles Orchester

Eines der besten Ensembles für historische Aufführungspraxis, das man zur Zeit finden kann, kommt aus Paris. Francois-Xavier Roth hat „Les Siècles“ 2003 gegründet. Er leitet das Orchester immer noch, obgleich er inzwischen auch als Gürzenich-Kapellmeister in Köln gut zu tun hat. Das Besondere an „Les Siècles“: Man ist hier flexibel. Die Musiker wechseln die Instrumente je nach Repertoire, es gibt inzwischen einen ganzen Fundus von historischen Instrumenten, vom 17. bis zum 21. Jahrhundert, aus dem sie sich, je nach Faktur des Werks, bedienen. Gerade die französische Musik rund ums Fin de siècle, auf ihrer Suche nach exotischen, haptischen und synästhetischen Lichtfarben, profitiert davon.

Wie blankgeputzt und frisch erfunden

Zweite Besonderheit: „Les Siècles“ hat Roth. Mit diesem Dirigenten wird jedes Lieblingsstück, das man auswendig zu kennen meint, zu einer Neuigkeit des Tages! Zum Beispiel: „Forlane“ aus „Le Tombeau de Couperin“, von Maurice Ravel. Ein Fest für die Oboistin! Sie heißt: Hélène Mourot. Aber auch die Flöten, die Hörner, die Violinen und Bässe, alle Musiker von „Les Siècles“ spielen so scharf und so schön, wie blankgeputzt und frisch erfunden, dass es eine wahre Lust ist. Mit diesem „Forlane - Allegretto“ verneigte sich Maurice Ravel, wie überhaupt im „Tombeau de Couperin“, vor der Blüte der französischen Musik im 18. Jahrhundert. Zugleich setzte er damit selbst ein Tombeau, einen persönlichen Gedenkstein, denn wie jeder Satz ist auch „Forlane“ einem von Ravels Freunden gewidmet, die im ersten Weltkrieg starben. Eine Musik also, die zugleich zurückblickt und nach vorne schaut - und nach Innen.

Roth interessiert sich gerade für diese Komplexität Ravels, die so leicht erscheint, weil sie ihren Ausdruck in einer raffiniert aufgefächerten Instrumentation findet. Alle drei Werke Ravels, die hier neu eingespielt wurden, waren ja ursprünglich für Klavier bestimmt, sie wurden erst nachträglich orchestriert: „Le Tombeau“ als ein Stück für die Toten, die Märchensuite „Ma Mere l’Oye“ als ein Stück für die Kinder, und „Shehérazade“ als ein Stück Exotismus, für alle. Eine „Rhapsody in bunt“, mit „genügend Ganztonskalen darin, dass es für ein Leben reichen könnte“ (Monnard).

„Shéhérazade“ ist ein Jugendwerk Ravels. Er war 24, als er es orchestrierte, und so unzufrieden mit seiner Arbeit, dass er den Druck untersagte und das Stück nach der Uraufführung zurückzog. Etwas anderes ist es mit der Musik für die Jugend. Die Klavierstücke für „Ma mère l’Oye“ waren ursprünglich, im Sommer 1908, für die kleinen Hände von Mimi und Jean entstanden, Kinder von Freunden Ravels; und als sich die Musik dann doch als zu schwer erwies, sprangen eine Vierzehnjährige und eine Elfjährige ein, Genéviève Durony und Jeanne Leleudie, für die Uraufführung im Salle Gaveau im April 1910. Die märchenhafte, altertümelnde Klangwelt von „Mutter Gans“ kommt freilich erst mit den Orchesterinstrumenten so richtig zu sich.

Hinreißend realisiert

Und wie hinreißend wird das realisiert von Les Siècles! Die historische Piccoloflöte von 1907, die Fagotte von 1900, die stumpfnäsigen französischen Klarinetten, die leuchtenden Violinen und vor allem das göttlich grunzende Kontrafagott, wie es, aufgeregt, im Liebesgespräch zwischen La Belle und La Bête die Bemerkungen des Letzteren, nun, sagen wir: veredelt … – das alles muss man gehört haben! Eine preiswürdige Einspielung! Frisch veröffentlicht, letzte Woche, vom Label Harmonia Mundi France.

CD-Tipp vom 27.04.2018 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik - Neue CDs

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AUTOR/IN
Eleonore Büning
KÜNSTLER/IN
Les Siècles