Dagmar Pecková und Richard Samek singen Gustav Mahlers Lied von der Erde

Sängerisch nicht zu empfehlen

Stand
AUTOR/IN
Katharina Eickhoff
Katharina Eickhoff (Foto: SWR -)
KÜNSTLER/IN
Dagmar Pecková
Richard Samek
Schoenberg Chamber Orchestra
Petr Altrichter

CD-Tipp vom 13.4.2018

Reaktion auf existenzielle Erschütterung

Das „Lied von der Erde“ steht in Mahlers Gesamtwerk zwischen der achten und der neunten Sinfonie – und ist die Reaktion auf existenzielle Erschütterungen, die Mahler im vorausgegangenen Lebensjahr wegstecken musste: den plötzlichen Tod seiner über alles geliebten kleinen Tochter Maria, genannt Putzi, die Demission als Hofkapellmeister an der Wiener Oper nach zu vielen antisemitischen Anfeindungen, und die Entdeckung seiner lebensbedrohlichen Herzkrankheit. Auf diese traumatischen Erlebnisse folgt also das „Lied von der Erde“ – Musik, die so schön und traurig und zerbrechlich ist, dass es wehtut. Das Werk ragt als ewiges Rätsel und erratischer Block quer in die Musikgeschichte. Was ist das denn nun? Eine Sinfonie? Eine Kantate? Ein Liederzyklus? – In jedem Fall ein Zyklus von sechs Orchesterliedern, komponiert natürlich erst mal für das ganz große Mahler-Orchester.

Konzentrierte Kammerfassung

Dieses Riesenorchester wollte nun Arnold Schönberg für seinen nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten „Verein für musikalische Privataufführungen“ in eine Kammerfassung überführen, weil eben Aufführungen des Originals wegen der teuren Mammutbesetzung kaum zu stemmen waren. Schönbergs Verein ist dann allerdings 1921 das Geld ausgegangen, und so ist seine Bearbeitung für kleines Ensemble erst mal Fragment geblieben – bis sie sich Anfang der 1980er Jahre der Komponist und Neue Musik-Spezialist Rainer Riehn noch mal vorgenommen und vervollständigt hat. Und wer das „Lied von der Erde“ mag oder gar liebt, der sollte diese Kammerfassung kennen, denn man lernt aus der reduzierten, oder besser: konzentrierten Version viel über die inneren Geheimnisse dieser Musik ...

Beeindruckende Orchesterleistung

Die sehr wienerische Bittersüße, das salonartige Geigenschluchzen, das in Mahlers Musik ja immer wieder unterschwellig mitschwingt und -singt, ist in dieser Kammerfassung deutlicher zu hören. Mahler selber war zwar als Bearbeiter eher darauf aus, die Werke seiner Vorgänger, Beethoven oder Schumann, möglichst orchestral aufzuplustern, aber er hätte trotzdem seine Freude an dieser Version gehabt, denn „Deutlichkeit“ war ja nun mal sein zentrales musikalisches Credo. Und dieses Arrangement – hier vom Schönberg Chamber Orchestra beeindruckend gespielt – macht Mahlers komplexe Denkweise als Komponist auf einmal durchsichtig.

Holzschnittartige Linienführung

„Bestimmte Charakteristika“, schreibt Rainer Riehn, der Zweit-Bearbeiter, „treten deutlicher zu Tage; die einzelne Linienführung wird durchgehend schärfer, holzschnittartiger.“ – Das mit dem Holzschnitt ist ein guter Vergleich – und das Holzschnittartige passt ja auch gut zum fernöstlichen Einschlag des „Lieds von der Erde“: Die Texte kommen aus dem damals ziemlich angesagten Gedichtbändchen „Die chinesische Flöte“ von Hans Bethge, und die Originaldichtungen, die Bethges Versen zugrunde liegen, stammen von den bedeutendsten Poeten des alten China. „Kunstgewerblich“ hat Theodor W. Adorno dann die Verse Hans Bethges genannt, es seien Texte, „denen die Unsterblichkeit nicht an der Wiege gesungen war“, fand Adorno. Trotzdem war das Büchlein ein Riesenerfolg – und für Mahler sind die Gedichte an diesem Punkt in seinem Leben wohl einfach genau das Richtige gewesen: aus dem eigenen Gefühlschaos hin zur emotional distanzierten, alles nur andeutenden Poesie und den fernen Tonleitern Chinas ... Herauskam bei dieser Selbstbeschwichtigung dann eben auch ein Satz wie der dritte: „Von der Jugend“, dieses ungeheuer charmante Scherzo über lustig daherwackelnde Chinesen vor einem porzellanenen Pavillon – ein pastellgetöntes bewegtes Kinderbuchbild, das einen zum Lächeln bringt – und für das sich so eine luftig-leichte Kammerbesetzung vielleicht ganz besonders gut eignet. Gerade weil das Ganze als eine Art Liederzyklus daherkommt, passt es so gut zu dieser Ensemble-Instrumentierung. Insofern, und was also die instrumentale Seite angeht, wäre diese tschechische, bei der guten alten Supraphon erschienene Produktion auf jeden Fall zu empfehlen. Aber ach – da sind ja noch die Sänger.

Prachtvoller Heldentenor, aber inhaltlich unbeleckt

Das „Lied von der Erde“ wird klassischerweise besetzt mit einer Mezzosopranistin und einem Tenor, der Tenor dieser Aufnahme hier heißt Richard Samek, er hat eine prächtige, laute Stimme und kommt aus Tschechien – und das, pardon, ist schon das erste Problem: Ein Sprachcoach im Vorfeld war vermutlich im Budget nicht drin, und so verstehen die, die den Text nicht zufällig auswendig können, so gut wie kein Wort von dem, was er da singt, einschließlich ihm selber. Und schon sehnt man sich wieder mal Fritz Wunderlich herbei, der diese Partie bei Otto Klemperer mit dieser speziell Wunderlichschen Mischung aus blauäugig und tief wissend gesungen hat – hat man das mal gehört, vergisst man es nicht wieder. Ich weiß schon, Fritz Wunderlich ist seit über 50 Jahren tot, mir fehlt er immer noch und immer wieder, aber natürlich kann und muss auch nicht jeder ein Wunderlich sein. Nur: So unbeleckt von den bodenlosen Abgründen dieser Partie zu sein, wie es Richard Samek inhaltlich ist, grenzt schon an grobe Fahrlässigkeit, da kann er noch so protzen mit seinem zugegeben prachtvollen Heldentenor. Und doch ist Herr Samek noch das kleinere Problem.

Mezzosopran mit unsauberer Intonation

Denn das Zugpferd – und gleichzeitig die Bürde dieser Produktion – ist die tschechische Mezzosopranistin Dagmar Pecková. Dagmar Pecková war zu ihren Glanzzeiten in Salzburg, Covent Garden und Berlin eine wirklich fabelhafte Sängerin; insofern kann man den Impuls schon verstehen, ihr jetzt, mit Ende 50, mit dieser Aufnahme noch mal eine Hommage darzubringen – als Portrait einer lebensweisen Sängerin, die im ungeheuren letzten Satz, „Der Abschied“, zur Stimme Mahlers wird, und die die leise, todesmüde Trauer dieses Stücks mit Würde und Wehmut anfüllen kann. Nur kann das Dagmar Pecková eben nicht. Dass man auch bei ihr vom Text fast nichts versteht, liegt vermutlich an ihrer Technik – hier zeigt sich einmal mehr, dass die slawische Gesangstechnik einfach oft der Feind einer langen Gesangskarriere ist. Den fehlenden Stimmfokus muss man mit den Jahren mit schwindender Stimmsubstanz bezahlen, und aus dem bei jüngeren, aus dem Osten stammenden Sängern ja durchaus anziehenden dramatischen Tremolo wird halt später dann ein mulmendes Wabern, das nur noch mit der Randschwingung die eigentliche Tonhöhe erreicht – wenn überhaupt. Insofern ist es eher qualvoll, Dagmar Pecková bei „Der Abschied“ zuzuhören – ihre Töne haben kaum unterschiedliche Farben, die ganze Intonation ist unsauber, die Stimme schwingt nicht mehr und klingt insgesamt älter als diese Musik es je werden kann ...

Kammerversion hörenswert

Mit dieser Aufnahme hat sich Dagmar Pecková keinen Gefallen getan: Die früher so beeindruckende Mezzosopranistin klingt hier in dieser Kammerfassung von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ wie unter Wasser und kriegt oft schlichtweg die Töne nicht – schade: Diese instrumental von Arnold Schönberg auf das Nötigste reduzierte Version von Mahlers großem Abschiedswerk ist nämlich eigentlich ziemlich hörenswert. Zumal das Schönberg Chamber Orchestra unter Leitung von Petr Altrichter das auch gut und schön spielt. Aber den perfekten Sänger für ein Stück zu finden, ist eben ein schwieriges Unterfangen.

CD-Tipp vom 13.4.2018 aus der Sendung „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“

Stand
AUTOR/IN
Katharina Eickhoff
Katharina Eickhoff (Foto: SWR -)
KÜNSTLER/IN
Dagmar Pecková
Richard Samek
Schoenberg Chamber Orchestra
Petr Altrichter