Sheku Kanneh-Masons Debütalbum "Inspiration"

Naschwerk am Tor zur Hölle

Stand
AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
Sheku Kanneh-Mason,Cello CBSO Cellos City of Birmingham Symphony Orchestra Leitung: Mirga Grazinyte-Tyla

CD-Tipp vom 14.03.2018

Sheku Kanneh-Mason ist auf dem Sprung zur Weltkarriere, sein erstes Album ist bei Major Company Decca herausgekommen, heißt "Inspiration" und präsentiert auch, nicht nur, Stücke, die man auf einer Cello CD nicht unbedingt erwartet.

Unanfechtbar gut gespielt

Nein, Bob Marley ist nicht zu hören auf der neuen CD. Aber Bob Marleys Musik hat der inzwischen 19-jährige Sheku Kanneh-Mason schon als Baby im Auto seiner Eltern gehört, und natürlich hinterlässt so etwas Spuren im Berufsleben eines Wunderkinds. Fast wie eine Bach Suite artikuliert Sheku Kanneh-Mason seine Improvisation über Bob Marleys Reggae Klassiker „No Woman, No Cry“. Der Ton vibriert dazu kaminfeuerwarm und es wundert nicht, dass der junge Mann für seine Solo Debüt-CD einen ganzen Strauß von Melodien hervorzaubert, die man landläufig in die Kategorie „was fürs Herz“ einordnen würde. Ohrwürmer phrasieren kann er fantastisch, das kann weiß Gott nicht jeder, und Kanneh Mason hat auch keine Scheu vor dem Surfen hart am Rande der Kitschwelle… man kann ja auch mal dick auftragen, das macht Fans exquisiten Handwerks zurecht Spaß, denn es ist unanfechtbar gut gespielt: Würde die CD von Kanneh-Mason nun ausschließlich Feuerzeugschwenker-Schmusehits beinhalten, wäre das wohl eine Marketingfehlleistung und müsste als Jugendsünde eines Talents mit ordentlich Potential abgetan werden.

Klanglich kontrolliert

Aber im Kinderzimmer dieser zahlreichen Cellozuckerstückchen der Produktion wartet in einer Ecke ein echter Abgrund. Schostakowitschs erstes Cellokonzert ist höllisch schwer, aber genauso hypnotisch. Kein Wunder, dass so mancher ehrgeizige Cellist von den Anfangstakten ein vergleichsweise simples Liedchen singen kann: „Ich bin ein Star“ spielt das Cello -“Bist Du nicht, bist Du nicht“ kommt die trockene Antwort aus dem Orchester. Hat Sheku Kanneh-Mason das Zeug zum Star? Sein Schostakowitsch klingt, und das ist beileibe nichts Schlechtes, schön. Nirgendwo kracht und splittert das Tongebälk, alles ist klanglich kontrolliert und resoniert voll im Holz.

Merkwürdig klangschöner Sog

Sicher hat man den Showdown „Horn gegen Cello“ schon mal grotesker, drastischer, hässlicher gehört. Ist das schon die Fanfare, die einem Wahnsinnigen das Jüngste Gericht ankündigt, oder klingt das noch zu harmlos? Tatsächlich gibt es Cellisten, die an dieser Stelle, nach ein paar Minuten Musik, bereits mit quasi brennenden Fingern ein Loch ins Cellogriffbrett fräsen vor lauter vibrierender Energie. Dagegen kocht Kanneh-Mason fast auf Sparflamme, und zuerst ist man möglicherweise enttäuscht, dass hier alles, vorläufig jedenfalls, so artig bleibt, auch im Orchester. Aber man sollte weiterhören, denn hier geht der Bogen über drei Sätze und eine riesige Kadenz, der Wahnsinn steigert sich erst allmählich, wird nie zu früh zum vordergründigen Exzess. Und so entsteht ein merkwürdig klangschöner Sog durch ein doch oft im totalen Rausch der Groteske verzerrtes Stück, das durchaus übersättigen kann.

Schräg, aber köstlich

Wars das? Möchte man nach dem letzten Ton von Schostakowitschs Konzert noch fragen, denn jetzt will man mehr. Und irgendwie ist es dann fast ironisch, dass Kanneh-Mason direkt anschließend auf der CD einen Offenbach Walzer serviert, der wirklich eine echte Schnulze ist. Die Tränen von Jaqueline, heißt dieser Schmachtfetzen, und nach dem Schostakowitsch Abgrund ist man irgendwie wieder beim freundlich lächelnden Cellisten Sheku Kanneh-Mason im Jugendzimmer, mit einer Tüte Bonbons, alles bunt verpackt, irgendwo lauert nur eben eine sehr herbe Überraschung. Schräg ist das, aber köstlich, Naschwerk am Tor zur Hölle.

Stand
AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
Sheku Kanneh-Mason,Cello CBSO Cellos City of Birmingham Symphony Orchestra Leitung: Mirga Grazinyte-Tyla