11-CD-Box mit Aufnahmen des Geigers Ruggiero Ricci

Letzter Virtuose seiner Ära

Stand
AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
Ruggiero Ricci

CD-Tipp vom 24.7.2018

Diesen Satz hat Geigengott Jascha Heifetz geprägt. Der knapp 18 Jahre später geborene Kollege Ruggiero Ricci formulierte es noch drastischer:

Papa Ricci hatte ehrgeizige Pläne für seine Kinder, alles oder nichts: „entweder Musiker werden, oder Müll sammeln“ war ein geflügeltes Wort der Ricci Erziehung. Mit 10 wurde Wunderkind Ruggiero in den Musikzirkus geschmissen. Auf Programmzetteln wurde er von den Eltern immer ein paar Jahre jünger geschummelt. Riccis wichtigster Lehrer in den Galeerenjahren war Pädagogenlegende Louis Persinger, ein Wunderkindspezialist, bei ihm gingen auch Yehudi Menuhin und Isaac Stern in die Lehre. Auch Aufnahmen mit Lehrer Persinger am Klavier sind in der CD-Box zu finden.

Kompromissloser Wille zum Adrenalinschub

Geigengeschichte schrieb Ruggiero Ricci 1947, als er mit Ende zwanzig als erster Geiger überhaupt alle 24 Pagannini Capricen ungekürzt in Originalversionen auf Platte einspielte. Ricci spielte halsbrecherisch virtuos, wild statt poliert, aber er entdeckte vielen Hörern wohl auch zum ersten Mal die lyrische Seite Paganinis. Atemberaubend sind viele ganz frühe Ricci Aufnahmen bis heute, wenn der Hexenmeister ohne Rücksicht auf Verluste aufs Tempo drückt. Wer bremst, verliert… Der kompromisslose Wille zum Adrenalinschub verband Ruggiero Ricci mit einer anderen Künstlerin. 23 Jahre jünger als Ricci war die junge Dame, als der sie vor ihrem großen Durchbruch nach Leningrad mitnahm: Martha Argerich!

Bei einer der Aufnahmen dieser CD-Box, beeindruckt das gestochen energetische Spiel der jungen Martha Argerich fast mehr als die brachiale Wucht ihres Mentors Ricci. Denn, obwohl dieser den Ruf eines animalischen Energiebündels hatte, zauberte Ricci einige seiner besten Momente im lyrischen Fach, beispielsweise im Duo mit dem legendären New Yorker Konzertmeister David Nadien. Teufelsgeiger Ricci, der es oft und gern Krachen ließ im Gebälk, der gern die Fetzen fliegen ließ, konnte auch anders. Nicht verhalten und geheimnisvoll klingt der Beginn von Sibelius Violinkonzert von ihm, sondern wie das verzweifelte Flehen einer einsamen Seele.

Der letzte Teufelsgeiger von Format

Heute jährt sich Ruggiero Riccis Geburtstag zum 100. Mal. Jene Disziplin, die ihn einst vor allen anderen auszeichnete, alle Paganini Capricen spielen zu können, zählt heute an Musikhochschulen zum Breitensport. Seine ruppige Eigenwilligkeit ist im Zeitalter chromblitzend uniformierten CD Sounds längst aus der Mode. Und ja, er spielte nicht immer sauber, dafür immer mit Biss. Das Label Scribendum erinnert mit dieser 11-CD-Box an einen, den die Tageszeitung „Die Welt“ mal so beschrieb: der letzte Teufelsgeiger von Format. Dass er für diese Auszeichnung zwar nicht seine Seele, aber wohl seine Kindheit verkauft hatte, auch daran erinnert musikalisch ein Stück auf der CD. Es heißt traurig wie es klingt unter Riccis Händen: Traum eines Kindes, "Reve d´Enfant"…

CD-Tipp vom 24. Juli aus der Sendung SWR2 Cluster

Stand
AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
Ruggiero Ricci