Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit dem Minguet Quartett

Musik der Möglichkeiten von Peter Ruzicka

Stand
AUTOR/IN
Björn Gottstein
KÜNSTLER/IN
Minguet Quartett
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

CD-Tipp vom 18.9.2018

Musik auf der Suche nach sich selbst, Musik, die sich tastend vorwärts bewegt, um unerschlossenes Terrain zu erkunden, Musik auf der Suche nach einem Klang, der so noch nie erklungen ist. Das ist die Formidee, der Peter Ruzicka in diesem Stück nachgeht. „Clouds 2“ für Streichquartett und Orchester aus dem Jahre 2013.

Historische Dimension

Immer wieder scheinen einzelne Klangmomente auf, zauberhaft-verklärte Augenblicke, in denen sich zerbrechlich und verletzbar eine Idee des neuen Klangs andeutet. Überlagert und wie von einer Wolke verhüllt wird dieser Klang durch instrumentale Zwischenrufe und dramatische Gesten. Die Suche nach einem neuen, einem unerhörten Klang, das ist eine Idee, die für Peter Ruzicka eine historische Dimension hat und die er in der Zeit der frühen Moderne lokalisiert, als Franz Schreker seine Oper „Der ferne Klang“ schrieb, als Thomas Mann den „Doktor Faustus“ schuf, als Arnold Schönberg vom „Triebleben der Klänge“ sprach. Ruzicka nennt es eine regelrechte Klangsucht.

Der historische Rückverweis ist typisch für Ruzicka. Viele seiner Werke haben ihren Ausgangspunkt in vergangenen Epochen. Zum Beispiel seine drei großen Opern über Paul Celan, Friedrich Hölderlin und, erst im Juni in Hamburg uraufgeführt, über Walter Benjamin. Aber, auch wenn Ruzicka auf die Geschichte verweist, so schreibt er keine Musik der Retrospektive. Im Gegenteil: Für ihn liegt der Wert der Geschichte darin, dass sie Perspektiven für die Zukunft eröffnet. Indem er sich Geschichte aneignet und sie anverwandelt, entsteht etwas Neues, oft ganz Persönliches.

Jeder Augenblick könnte auch anders verlaufen

Ein anderes Werk, in dem die Beschäftigung mit einer überlieferten Idee eine Rolle spielt, ist das siebte Streichquartett, dass 2016 entstand. Es geht zurück auf den französischen Lyriker und Philosophen Paul Valéry. Valéry stellte sich ein Werk vor, bei dem sich der Autor nicht für eine einzige Form entscheiden muss, sondern bei dem er an den entscheidenden Punkten offenbart, welche Fülle von Möglichkeiten sich in jedem Moment auftun. Ruzickas Streichquartett trägt den Titel „possible à chaque instant“. Wie schreibt man eine Musik der Möglichkeiten? Eine Musik, die ständig aufzeigt, dass sie in jedem Augenblick auch anders verlaufen könnte? Ruzicka schreibt eine fragmentarische, zersplitterte Musik. Er vermeidet Kontinuitäten. Gelegentlich fällt ein Motiv aus einem früheren Streichquartett ein, überfallartig. Dann wieder gibt es Gesänge wie aus der Ferne. Und schließlich verweist Ruzicka auf ein anderes Werk, das für ihn wie kein Zweites die Idee von Kontinuität und Diskontinuität vorstellt: Beethovens Streichquartett op. 131 scheint bei Ruzicka mehrfach auf.

Tönende Philosophie

Ruzickas Musik ist immer beides: eine sehr persönliche, ja intime Musik, und tönende Philosophie, eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ideen. Ruzicka, der in diesem Jahr 70 geworden ist, hat in seinem Leben viele Rollen gespielt: als Dirigent der großen europäischen Orchester, als Intendant der Hamburger Staatsoper, der Münchner Biennale und der Salzburger Festspiele. Hier war er immer in einer repräsentativen Rolle. Als Komponist aber ist Ruzicka ein anderer: ein Künstler, der sucht und forscht, der sich zwar durchaus selbstbewusst mit den großen Meistern und Denkern misst. Der aber auch eine andere Seite zeigt, der die sensible Seite des Künstlers zum Vorschein bringt. Die Einspielung der beiden Quartettwerke mit dem Minguet-Quartett, die vor zehn Jahren bereits die ersten sechs Quartette eingespielt hatten, legt das in besonderem Maße offen.

CD-Tipp vom 18.9.2018 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt-Klassik

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AUTOR/IN
Björn Gottstein
KÜNSTLER/IN
Minguet Quartett
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin