Musikdrama „Argo“ eröffnet Schwetzinger SWR Festspiele

Trügerisches Mittelmeer

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Opernkritik am 28.4.2018 von Monika Kursawe

Die Schwetzinger SWR Festspiele 2018 haben am 27. April begonnen. Gleich am ersten Abend hatte das „Dramma in musica“ „Argo“ von José María Sánchez-Verdú und Gerhard Falkner im Rokokotheater Premiere, eine Koproduktion des SWR mit dem Staatstheater Mainz. Dort ist die erste Aufführung am 20. Mai.

Die Musik fließt, vibriert, flüstert und brummt im dunklen Theaterraum. Schnell werden vage Assoziationen an längst vergangene Zeiten wach; an fremde, mystische Kulturen, in denen Helden wie Odysseus, Jason, Orpheus oder Butes über die Weltmeere fuhren. Genauer: über das Mare Nostrum – das Mittelmeer, das seit der Antike und noch bis heute für Schönheit steht, für Hoffnung und Aufbrüche zu neuen Ufern – aber auch für Kriege, Tod und Katastrophen, ein Schauplatz menschlicher Tragödien.

Live-Videomitschnitt von "ARGO"

Reines Spiel mit musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten

Diese Ambivalenz ist auch der Kern der Oper. Es geht nicht um eine bestimmte Handlung, es geht darum die Bewegung des Reisens und des Wassers, aber auch den Umgang der unterschiedlichen Helden mit der Gefahr auszuloten. Im Zentrum steht dabei der eher unbekannte Butes, der den Verheißungen der Sirenen nicht widerstehen kann und trotz ungewisser Zukunft ins Meer springt.

Das zumindest kann auch als sozial-politischer Wink verstanden werden, im Grunde ist die Oper aber ein reines Spiel mit musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten. Nicht umsonst ist ARGO nicht mit „Oper“ untertitelt, sondern mit „Dramma in musica“ – das Drama spielt sich hier in der Musik ab.

Das Publikum fühlt sich wie im Bauch eines Schiffs

Langsam und sparsam, fast statisch entfaltet sich diese musikalische Versuchsanordnung, genau so langsam, wie in Trance, agieren auch die Protagonisten. Musikalisch birgt diese auf den ersten Blick so karge Oper aber einiges:
Zusätzlich zum Orchester im Graben sind auch in den Rängen Musikergruppen platziert, wodurch man im Publikum tatsächlich das Gefühl hat, im Bauch eines Schiffs zu sitzen, in Klänge einzutauchen, von Musik umspült zu werden.

Verstärkt wird das noch durch das SWR Experimentalstudio, das die Musik elektronisch ergänzt und verfremdet, durch den ganzen Raum schickt und wie Wellen ins Publikum zurück schwappen lässt. Unter dem Dirigat des Komponisten José María Sánchez-Verdú entstehen so beeindruckende Klangwelten, durch die sich die Sänger mit traumwandlerischer Sicherheit bewegen.

Doppelhörner als Sirenen

Besonders effektvoll sind dabei auch die Doppelhörner, die als Sinnbild für die lockenden Sirenen von der Bühnendecke hängen. Diese elektronisch gespielten Instrumente, die wie zwei aneinandergesetzte Posaunentrichter aussehen, klingen ein wenig wie Nebelhörner.

Das ist weit entfernt von dem, was man vom himmlischen Gesang der Sirenen erwartet hätte und vielleicht gerade deshalb, in seiner Fremdheit so faszinierend.

Berückend schöne Schattenspiele

Besonders gelungen ist auch die Inszenierung von Mirella Weingarten. Ihre extrem reduzierte Regie spiegelt ebenfalls das Bild vom Schiffsrumpf und den Weiten des Ozeans wider: eine große Wasserfläche auf dem Bühnenboden und eine Art Lamellenvorhang an den Seiten und der Rückwand, ein durchsichtiger Vorhang, auf den Wellen und Vögel im Flug projiziert werden und hinter dem der Männerchor scherenschnittartig und fast bewegungslos als Mannschaft agiert. Dazu eine ungemein effektvolle Lichtregie, die sich im Wasser bricht und berückend schöne Schattenspiele im Raum entstehen lässt.

Eine Oper in Zeitlupe

Insgesamt ist „Argo“ ein Gesamt-Kunstwerk, das mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Man muss sich einlassen können und wollen auf dieses Opern-Experiment, dann hat „Argo“ etwas durchaus Hypnotisches – eine Oper in Zeitlupe, in die man gerne eintaucht.

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SWR