Neues Buch von Laurence Senelick

Die Wirkungsgeschichte Jaques Offenbachs

Stand
AUTOR/IN
Dieter-David Scholz

CD-Tipp vom 19.9.2018

Bataclan-Boom

Jacques Offenbach eröffnete am 29. Dezember 1855 sein zweites Pariser Theater, ein ehemaliges Zauber- und Kindertheater, das er zu seinem neuen winterfesten Haus der Bouffes-Parisiens machte. Zur Eröffnung gab es die musikalische Chinoiserie "Ba-Ta-Clan". Eine rhythmisch mitreißende, exotisch eingefärbte Karikatur des Pariser Lebens, sicherheitshalber nach China verlegt. Aber nicht nur Napoleon wird verspottet, auch Giacomo Meyerbeer, der König der Pariser, wie der Opernwelt ganz Europas. Der triumphale Siegeszug der Chinoiserie "Ba-ta-clan" erstreckte sich von Frankreich quer durch Europa bis nach Amerika. Ein regelrechter Bataclan-Boom brach aus. Nicht nur in den Musiktheatern. Auch Amüsier-Etablissements nannten sich weltweit nach Offenbachs neuem Stück. Ein Paradebeispiel für die Kernthese des Buches von Laurence Senelick:

Das Jahrhundert Offenbachs

Edmond de Goncourt hat in einem seiner Journale darüber berichtet, dass sein französischer Schriftstellerkollege Alphonse Daudet einst gefordert habe, dass man einmal ein Buch über „Das Jahrhundert Offenbachs“ schreiben müsse. Laurence Senelick hat diese Herausforderung angenommen: 

Ähnlich wie der chamäleongleiche Leonard Zelig in Woody Allens gleichnamigem Film überall da auftauchte, wo etwas Wichtiges geschah und mitmischte, habe Offenbach dem Reich der Kunst von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute seinen Stempel aufgedrückt, so der Grundtenor des Buches. Senelick belegt das mit vielen Beispielen aus der Theater-, Musik-, und Filmgeschichte Frankreichs, Englands, Deutschlands und Österreichs, aber auch Amerikas, Russlands und Ägyptens.

Senelick entwift ein kulturgeschichtliches Panorama der Offenbach-Wirkungsgeschichte, das von der Wiener Offenbach-Begeisterung seiner Zeit über die legendären Produktionen von Max Reinhardt vor, und Walter Felsenstein nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum gegenwärtigen Offenbach-Festival im Château de Bruniquel in den Pyrenäen reicht. Er macht deutlich, dass Offenbach in seinen politisch angriffslustigen wie heiter-satirischen, mythischen wie gegenwärtigen Werken des Musiktheaters eine neue, höchst moderne Gattung erfunden hatte, die die ganze Welt infiziert habe. Offenbachs rhythmisch gepfefferte rebellische Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten und sein parodistischer Witz machten ihn zum nie wieder erreichten Meister der musikalischen Satire. Selbst der gestrenge Philosoph Friedrich Nietzsche war begeistert: 

Musikalisch neuartige Kunstform

Es geht in Senelicks Buch nicht nur um legendäre Offenbach-Interpreten, es geht auch und insbesondere um die ungeheuren Anregungen, die Offenbach diesseits und jenseits des Atlantik gab, um das, was er mit seiner neuartigen musikalischen Kunstform auslöste und um sein bis heute explosiv-anspringendes wie unverbrauchtes Potential. Dabei betont der Autor ausdrücklich:

Senelicks Buch macht deutlich, welche einzigartige und bedeutende Rolle Offenbachs Werk im Vorfeld der Moderne spielte. Es ist aus leidenschaftlicher Verehrung geschrieben, warum auch nicht, aber es ist klug und wendet sich engagiert wie fundiert gegen die immer noch weit verbreitete Verharmlosung, ja Unterschätzung Offenbachs. Schon deshalb ist es im Vorfeld des kommenden Offenbachjahrs unbedingt lesenswert. Es lebe Offenbach!

CD-Tipp vom 19.9.2018 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik

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AUTOR/IN
Dieter-David Scholz