Eine Doppelbiografie von Ursula Keller und Natalja Sharandak

Eine außergewöhnliche Liebe

Stand
AUTOR/IN
Dorothee Riemer

Buch-Tipp vom 25.01.2019

Pauline Viardot war eine zentrale Figur im Musikleben des 19. Jahrhunderts nicht nur in Frankreich, sondern auch in Russland, in England und in Deutschland. Aber ihr Einfluss erstreckte sich über die Musik hinaus: Im Leben und im Werk des russischen Schriftstellers Iwan Turgenjew spielte sie eine wichtige Rolle. Wie sah die Beziehung von Turgenjew und Viardot genau aus? Das haben sich Zeitgenossen und nachfolgende Generationen immer wieder gefragt. Ein neues Buch konzentriert sich nun auf diese Frage.

Komplizierter "Beziehungsstatus"

Ihr Beziehungsstatus bei Facebook hätte wohl dauerhaft gelautet: Es ist kompliziert. Denn die Beziehung von Pauline Viardot und Iwan Turgenjew umfasste Liebe und Sehnsucht, aber auch Eifersucht und Distanz; da war tiefe Freundschaft und familiäre Verbundenheit. Und da war eine fruchtbare künstlerische Zusammenarbeit. All diese Aspekte hatten in den verschiedenen Lebensphasen unterschiedliche Gewichtungen.

Turgenjew erlebt Viardot zuerst als gefeierte Sängerin in Russland. Er, 25 Jahre alt, verliebt sich in die 22jährige, die verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter ist. Er wird ihr mehr oder weniger sein ganzes Leben lang dorthin folgen, wo sie lebt und arbeitet. Es gibt Jahre, in denen sich beide nicht sehen und kaum Kontakt haben. Und dann gibt es die vielen, vielen Jahre, in denen Turgenjew mit der Familie Viardot lebt und tagtäglich mit Pauline Viardot, ihrem Ehemann Louis Viardot und ihren Kindern an einem Tisch sitzt, mit ihnen isst, trinkt, Musik macht, arbeitet, auf die Jagd geht. Zwei Mal – in Baden-Baden und in Bougival nahe Paris – lässt sich Turgenjew ein Haus direkt neben das der Viardots bauen. Seinen Lebensabend verbringt er im oberen Stockwerk des Viardot-Haushalts. Pauline pflegt ihn in seinen letzten Lebensmonaten, die durch eine Krebserkrankung geprägt sind.

Turgenjew sucht lebenslang die Nähe zu den Viardots

Die Aufs und Abs der Liebesbeziehung zwischen Pauline Viardot und Iwan Turgenjew kennen wir vor allem aus seinem Blickwinkel, denn seine Briefe hat Pauline Viardot als Nachlassverwalterin in eine Bibliothek gegeben. Sie blieben so erhalten. Trotz einiger Lieben und Verliebtheiten zu verschiedenen Frauen, heiratet Turgenjew nie, sondern sucht lebenslang die Nähe zu den Viardots, zu Pauline.

In welchem Maße Pauline Viardot Turgenjews Gefühle erwidert hat, darüber haben wir nur sehr wenige, vereinzelte Zeugnisse, denn Viardot hat ihre eigenen Briefe an Turgenjew vernichtet. Nach dem Tod sowohl ihres Ehemanns als auch Turgenjews innerhalb weniger Monate im Jahr 1883 schreibt sie an einen Freund:

Portrait einer ungewöhnlichen Dreierbeziehung

Was ist Liebe? Was ist Glück? Das fragt der Klappentext des Buches von Ursula Keller und Natalja Sharandak und verspricht das Porträt einer ungewöhnlichen Dreierbeziehung, einer außergewöhnlichen Liebe. Das klingt ein bisschen kitschig – und führt auch auf eine falsche Fährte. Denn die beiden Autorinnen haben eine angenehm nüchterne, allein quellenbasierte Studie vorgelegt – weit ab von romantischen Spekulationen und Fantasien. Ihr Buch über Pauline Viardot und Iwan Turgenjew ist eine Doppelbiografie, die beide Lebensläufe mit allen Wendungen und mit allen politischen und historischen Hintergründen beleuchtet, aber nur das beschreibt, was tatsächlich greifbar ist. Und das ist schon völlig ausreichend! Wir erfahren unter anderem von den Intrigen an der Pariser Oper und von den politischen Verwerfungen in Russland, Turgenjews Romane haben einen Platz genauso wie Viardots Operetten.

Es bleibt genug Stoff für ein weiteres Buch über dieses Künstler-Duo

Der Schwerpunkt des Buches liegt bei Turgenjew, was einerseits daran liegen mag, dass von ihm mehr Material überliefert ist, andererseits aber auch dem Blickwinkel der Autorinnen geschuldet sein könnte. Keller ist Germanistin und Slawistin, Sharandak Kunstwissenschaftlerin und Regisseurin, beide kommen sie nicht aus der Musikwissenschaft. Daher bleibt gerade das Thema künstlerische Zusammenarbeit von Turgenjew und der Musikerin Viardot leider etwas unterbelichtet. Ihre Gedicht-Vertonungen, seine Operetten-Libretti, gemeinsame Übersetzungen – da ist noch genug Stoff für ein weiteres Buch über dieses faszinierende Künstler-Duo.

Buch-Tipp vom 25.1.2019 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik

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AUTOR/IN
Dorothee Riemer