Kommentar

Handys im Konzertsaal: Nicht so streng sein, bitte!

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AUTOR/IN
Hannah Schmidt

Handyklingeln ist nervig, und andere Menschen sind es häufig auch, das gehört zum Leben dazu. Ist es also noch zeitgemäß, das klassische Konzert von all dem künstlich abschotten zu wollen?

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Schimpfender Dirigent

Vor zwei Wochen ist der Dirigent Yannick Nézet-Séguin im Konzert richtig sauer geworden, denn im Publikum hatten Telefone geklingelt. Er unterbrach das Konzert und schimpfte die Besucherinnen und Besucher aus.

Für Nézet-Séguin bedeuteten die auf laut gestellten Handys scheinbar, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer die Musik und damit auch ihn und seine Arbeit nicht respektieren.

Yannick Nézet-Séguin beim Dirigieren (Foto: IMAGO, IMAGO / Michel Neumeister)
Yannick Nézet-Séguin hat kein Verständnis für klingelnde Smartphones im Konzertsaal. Kommentatorin Hannah Schmidt meint, man solle das nicht so streng sehen.

Alltagsgegenstand Smartphone

Setzen wir mal voraus, dass kein Mensch lieber einen Klingelton hört als ein Oboensolo – diese Ausfälle waren mit großer Wahrscheinlichkeit also Versehen und schlimme Panikmomente für ihre Verursacherinnen. Aber im 21. Jahrhundert gehören Smartphones längst zum Leben dazu wie Schuhe und Schlüssel.

Dass sie unverhofft Geräusche machen, kann passieren – und wenn sie es tun, ist es immer nervig, nicht nur im Konzert. Nicht umsonst ist das Geräusch des Vibrationsalarms den meisten Menschen vertrauter als ihr eigener Klingelton.

Gruppenzwang im Konzertsaal

Der Besitz eines Smartphones clasht also gewissermaßen per se mit dem Wunsch, ein klassisches Konzert zu besuchen – an kaum einem anderen Ort sollen Besucherinnen und Besucher so sehr verschwinden wie hier. Das Licht über ihnen wird ausgemacht, dass man sie nicht sieht, und sogar Hustgeräusche, Räuspern und leises Knistern oder Rascheln werden mit bösen Blicken bestraft.

Die angespanntesten Momente meines Lebens verbrachte ich bisher während der langsamen, leisen Sätze irgendwelcher Sinfonien. Oft traute ich mich nicht einmal die unbequem gewordene Sitzposition zu ändern.

Geräusche mit Potenzial

Dabei würde die Musik es natürlich aushalten, wenn sie im Raum eine Resonanz erfahren würde. Bei großen Jazz-Sessions wird nach Soli gejubelt und geklatscht, intime kleine Clubkonzerte leben vom Atmen und leisen Flüstern der Zuschauer, und ja, auch da hört man eventuell ein „Ping“, weil jemand vergessen hat, das Smartphone stumm zu stellen – die Musik kann das ab, und sie ist nicht weniger verletzlich und filigran als ein Haydn-Quartett.

Bei alternativen Konzertformaten – im Sitzen, draußen, mit Getränken von der Bar – erlebt man zudem immer wieder, dass die Musikerinnen und Musiker auf Geräusche entweder gar nicht oder aber sehr entspannt reagieren – in dem Moment nämlich, in dem sie neu bewertet werden, als etwas Dazugehörendes, verlieren Geräusche ihr Empörungspotenzial.

Verdammende Atmosphäre

Das Problem im klassischen Konzert sind also nicht die kurz klingelnden Smartphones oder raschelnden Regenjacken, sondern eine Atmosphäre, die jegliches Geräusch verdammt.

Dabei ist doch viel schlimmer als ein paar Sekunden nerviges Telefonläuten, Anschiss zu bekommen von einer autoritär auftretenden Person auf der Bühne, die das Publikum zurechtpfeift wie ungezogene Kinder. Das zerstört ein Konzerterlebnis, und zwar nachhaltig.

Sonderform der Stille-Konzerte

Die Lösung? Lasst uns bitte nachsichtiger miteinander sein. Es könnte explizite Stille-Konzerte geben, für die man Telefon, Schuhe, Bonbons und Rascheljacken am Eingang abgibt.

Da kann man sich auch zurecht aufregen, wenn jemand diese Regeln missachtet. Für alles andere aber wäre es doch schön, wenn das gemeinsame Musikhören im Zentrum stünde – mit allem, was dazu gehört.

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